Hans-Martin Tillack Don’t do it again, Franz!

Nach der Razzia ist vor der Razzia - die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf würde alles wieder genauso machen. Und die Polizei erneut zur Hatz auf Journalisten treiben?

Am Dienstag habe ich mich richtig gefreut. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gab unserer Klage gegen das Königreich Belgien statt. Die Polizeirazzia in meiner Wohnung und dem Brüsseler stern-Büro im März 2004 war illegal, weil sie gegen das Prinzip des Schutzes journalistischer Quellen verstieß. Der Bestechungsverdacht, den das EU-Betrugsbekämpfungsamt Olaf gegen mich lanciert hatte, beruhte auf nichts als "vagen unsubstantiierten Gerüchten", urteilten die sieben Richter in Straßburg einstimmig - hier das vollständige Urteil auf Französisch. In ihm zitierten sie ausführlich auch den Europäischen Ombudsmann, der dem Olaf-Direktor vorgeworfen hatte, ihn in meiner Sache wiederholt mit Falschaussagen in die Irre geführt zu haben.

Viele Brüsseler Journalisten, seien sie aus Großbritannien, Italien, Frankreich, Polen oder Deutschland, haben sich mit mir über dieses Urteil gefreut. Sie bedrängen seitdem die EU-Kommission und Olaf mit der Frage, welche Konsequenzen es geben wird.

Gestern nachmittag hat Olaf-Sprecher Alessandro Butticé die Antwort gegeben: Keine! Olaf würde alles wieder genauso machen, versicherte Butticé mit militärischer Strenge (er ist ja Oberst der italienischen Guardia di Finanza).

Auch der Olaf-Chef, der ehemalige deutsche Oberstaatsanwalt Franz-Hermann Brüner, will nichts von Selbstkritik wissen. Forderungen der European Federation of Journalists, die Hintergründe nun endlich aufzuklären, weist er strikt zurück. Die ständigen Nachfragen von Journalisten zu der stern-Razzia behinderten Olaf nur bei der Arbeit, gibt Brüner zu verstehen.

Dass diese Arbeit viel zu wünschen übrig lässt, hatten wir im stern allerdings oft genug im Detail belegt. Die EU-Betrugsbekämpfer wollten ja per Hausdurchsuchung gerade herausfinden, wer mir immer wieder interne Unterlagen zugesteckt hatte - mit deren Hilfe wir nachweisen konnten, wie schlampig Brüners Leute allzu oft arbeiteten.

Nur in meinem Fall war höchste Eile geboten. Da drängten die Olaf-Ermittler sogar die Staatsanwälte in Hamburg und Brüssel mit einer kleinen Flunkerei zu "raschem Handeln": Ich sei nämlich dabei, "eine Korrespondentenstelle des STERN in Washington anzutreten". Wäre ja nett gewesen, war aber leider falsch, und Brüner wusste das.

Brüners Mitarbeiter Peter Baader beteuerte im Europaparlament gar, "zu keinem Zeitpunkt" habe Olaf den Justizbehörden eine Hausdurchsuchung bei mir vorgeschlagen. Später kam raus, dass Olaf sogar schriftlich angeboten hatte, "zeitgleich durchgeführte Durchsuchungen" in Brüssel und Hamburg gleich selbst zu koordinieren.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Aber, wie gesagt, sie würden alles wieder genauso machen. EU-Beamte werden hoch bezahlt und sind oft sehr kompetent. Aber die Gabe zur Selbstkritik gehört nicht zu den Fähigkeiten, die man für eine brillante Brüsseler Karriere mitbringen muss.

Der Chefsprecher der Kommission, Johannes Laitenberger, kanzelte im Brüsseler Pressebriefing am Mittwoch kritische Korrespondenten ab wie kleine, dumme Kinder. "Wieder und wieder" habe man doch längst dargelegt, dass Olaf und die Kommission für die stern-Razzia keinerlei Verantwortung trügen, erregte sich der Sprecher über die Frage eines britischen Kollegen. Schuld seien allein die Belgier, das sei doch bekannt.

Und Laitenberger blieb dabei: Olaf war sogar verpflichtet, die „unbelegten Informationen“ (so nannte sie nun selbst der Kommissionsmann) per Strafanzeige weiter zu leiten.

Auch er dürfte wissen, dass Olaf in anderen Fällen schon mal entschieden hat, auch besser belegte Vorwürfe nicht an die Justiz weiter zu geben. Zum Beispiel als es im Oktober 2003 um möglichen Spesenbetrug beim EU-Ausschuss der Regionen ging, was laut dem geheimen Olaf-Untersuchungsbericht nach belgischem Recht strafbar gewesen wäre. Dieses Dossier entschied Brüner lieber nicht weiter zu leiten. Aber Betrug mit EU-Geldern ist halt nur ein minderschweres Delikt, jedenfalls verglichen mit kritischer Berichterstattung.

An die will man sich in der EU-Hauptstadt offenkundig nicht gewöhnen. Seit ich Brüssel vor gut drei Jahren verlassen habe, hat sich da nicht viel verändert. Immer noch spricht der Kommissionssprecher die Korrespondenten - in einem heute freilich sehr viel pompöseren Pressesaal - coram publico mit Vornamen und Du an. Man ist ja eine große Familie! Aber bis heute ist klar, wer in dieser Familie das Sagen hat.

Brüssel sei zwar keine Demokratie, dafür herrsche hier eher als in der Berliner Politik die „Ratio“, verkündete der Brüsseler ARD-Studioleiter Rolf-Dieter Krause vergangene Woche beim Mainzer Mediendisput. Nein, er meinte das nicht ironisch. Die Kommission sieht das genauso wie Krause, und weil sie in EU-Parlament und Presse eher selten gefordert wird, hat sie nicht gelernt, Fehler einzugestehen.

Über Ratio lässt sich halt nicht verhandeln, ihr muss man gehorchen. Und wenn nicht? Nun, Olaf scheint weiter zum Eingreifen bereit.