AfD und Brandmauer Wer wird Höckes Hauptgegner in Thüringen?

Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt und sein AfD-Amtskollege Björn Höcke im Erfurter Landtag.
Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt und sein AfD-Amtskollege Björn Höcke im Erfurter Landtag. 
© Martin Schutt / DPA
Das sogenannte Duell zwischen dem Thüringer CDU-Chef Voigt mit dem AfD-Anführer Björn Höcke ist kein Skandal, sondern entspringt kühler Strategie. Gleichwohl ist das Risiko enorm.

Am 11. April 2024, um 20.15 Uhr, wird wieder einmal ein Tabu in der Bundesrepublik gebrochen. Ein christdemokratischer Politiker hat sich mit einem Rechtsextremisten zum bilateralen Streitgespräch verabredet. Genauer: Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt tritt gegen seinen AfD-Amtskollegen Björn Höcke an. 

Angeblich soll es um die Europapolitik gehen. Doch eigentlich geht es um etwas völlig anderes. Beide Männer wollen nach der Landtagswahl am 1. September jeweils als Ministerpräsident in die Erfurter Staatskanzlei einziehen. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner lautet: Dafür muss der linke Amtsinhaber Bodo Ramelow weichen. 

Das sogenannte Duell wird auf Welt TV ausgestrahlt. Seit der Termin bekannt ist, geißeln Sozialdemokraten, Grüne oder Linke Voigts Vorhaben als Annäherung an eine faschistische Landespartei. Die CDU hebe die Thüringer AfD, mit der sie bereits eine Steuersenkung und andere Gesetze beschloss, damit endgültig auf Augenhöhe und normalisiere sie zusätzlich. Das Ziel sei klar: Voigt wolle mithilfe der Höcke-Fraktion an die Regierungsmacht gelangen. Schließlich hatte ja die CDU schon einmal gemeinsam mit AfD und FDP einen gewissen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. 

Verweis auf Nazi-Geschichte

Ergänzt wird die raunende Erzählung der Kritiker mit dem moralisch aufgeladenen Verweis auf die Geschichte. Der 11. April ist der Jahrestag der Befreiung des nahe Weimar gelegenen KZ Buchenwald. Dort waren mehr als 50.000 Menschen den nationalsozialistischen Verbrechen zum Opfer gefallen. 

Die CDU hat inzwischen ihre Gegenerzählung perfektioniert. Voigt zeichnet von sich das Bild des aufrechten Vollstreckers der neuen, im Januar vom CDU-Bundesvorstand beschlossenen Anti-AfD-Strategie. Sie funktioniert zweigleisig. Auf der einen Seite soll die sogenannte Brandmauer jede aktive Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen. Auf der anderen Seite will die CDU ihre rechtsäußere Konkurrenz zunehmend "inhaltlich stellen". Angesichts der Umfragestärke funktioniere die "Nazi-Keule" nicht mehr, sagt Voigt. Auch die Terminwahl verteidigt er offensiv: "Ich halte das Datum für genau den richtigen Tag, darüber zu diskutieren, weil damit offensichtlich wird, was eine menschenverachtende Ideologie für Folgen haben kann." 

Doch die Erzählungen beider Seiten beruhen zu größeren Teilen auf wahlkampfgetriebener Propaganda. Denn einem Demagogen lässt sich kaum erfolgreich mit faktenbasierten Argumenten begegnen. Wie will Voigt mit Höcke inhaltlich darüber diskutieren, ob "diese EU sterben" muss oder, wie es die AfD fordert, Millionen Ausländer Deutschland verlassen sollen? Und auch wenn die Bezeichnung von Höcke als Nazi ahistorisch ist, so ist er ausweislich seiner Schriften und Reden ein Extremist, der nationalsozialistisches Gedankengut recycelt.

Ebenso entbehrt aber die Unterstellung, dass Voigt für die CDU eine Allianz mit der AfD vorbereite, einer machtpolitischen Logik. Denn eine Kooperation mit der AfD in Thüringen oder anderswo brächte die Union in Land und Bund in dieselbe prekäre Lage der Kemmerich-Wahl 2020. Dies gilt umso mehr, da sie sich wie damals im Vorjahr einer Bundestagswahl befindet. Eine Kooperation mit der AfD hätten den Verlust des bürgerlich-liberalen Wählermilieus in Westdeutschland zur Folge und dürfte die Partei innerlich zerreißen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Strategie der AfD 

Selbst führenden AfD-Politikern ist bewusst, dass ihre Partei von der CDU weiterhin vor allem Ablehnung zu erwarten hat – zumindest einstweilen. Ihr kurzfristiger Plan ist es daher, die Umfragewerte in diesem und im nächsten Jahr in Wahlergebnisse umzusetzen, was angesichts der neuen Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Werteunion schwer genug wird. Das Mindestziel der AfD ist es, in den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg ab dem Herbst die stärkste Fraktion zu stellen und im Bund 2025 mit etwa 20 Prozent die Oppositionsführerschaft erreichen. Ab 2026 soll dann mit den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern die Brandmauer erodieren, um das Feld für die Bundestagswahl 2029 zu bereiten. 

Entsprechend zwiespältig ist die Sicht in der AfD auf das Rededuell. Nicht Voigt gebe Höcke eine Profilierungschance, heißt es aus dem Bundesvorstand. Vielmehr sei es umgekehrt: Der AfD-Landeschef baue seinem Konkurrenten fahrlässig eine Rampe.

Tatsächlich trifft diese Sorge eher den Kern von Voigts Motivlage. Seine Bekanntheit ist im Vergleich zu Ramelow und Höcke deutlicher niedriger. Bei der Direktwahlfrage liegt der Thüringer CDU-Vorsitzende mit großem Abstand hinter dem Ministerpräsidenten und ungefähr auf der Höhe mit dem AfD-Landeschef. Dies entspricht ungefähr der Konstellation vor fünf Jahren, als die CDU im Zweikampf von Linke und AfD förmlich zerrieben wurde. Damals wurde Ramelow von der Linken gezielt als Hauptgegner Höckes aufgebaut. "Bodo oder Barbarei", hieß es in der Partei. 

Das Risiko von Mario Voigt

Das Duell mit Höcke soll nun für die CDU diese fatale Dynamik aufbrechen. Unfreiwillig assistiert Voigt dabei die Wagenknecht-Partei, die in den Thüringer Umfragen zweistellig ist und offenkundig vor allem bei Höcke und Ramelow Stimmen abzieht. Die AfD ist teilweise unter 30 Prozent gerutscht und die Linke auf 16 bis 18 Prozent. Derweil steht die CDU auch dank des Bundestrends stabil bei gut 20 Prozent – und damit bei einer akzeptablen Ausgangsposition. 

Doch so nachvollziehbar die Strategie Voigt ist, so riskant ist sie auch. Sie birgt vor allem zwei Gefahren. Die eine ist grundsätzlicher Natur: So wie er auch durch indirekte Absprachen der AfD bei gemeinsamen Abstimmungen Gestaltungsmacht zukommen ließ, so wertet er nun im direkten Zwiegespräch Höcke auf. Die andere Gefahr betrifft Voigt ganz persönlich. Er muss, um einen Extremisten wie Höcke schlagen zu können, ihm intellektuell und rhetorisch deutlich überlegen sein. Und um es sehr vorsichtig zu formulieren: An dieser Stelle sind schon ganz andere als der Thüringer CDU-Landesvorsitzende gescheitert.