Heikles Verbot Grenzbereich der Zensur: Darum ist das "Compact"-Verbot problematisch

Das Magazin "Compact" am Dienstag in einer Zeitschriftenhandlung, bevor es aus dem Sortiment genommen wurde.
Das Magazin "Compact" am Dienstag in einer Zeitschriftenhandlung, bevor es aus dem Sortiment genommen wurde.
© Karl-Josef Hildenbrand / DPA
Hauptsache weg? Moment. Mit dem Verbot des rechtsextremistischen Compact-Magazins begibt sich die Bundesinnenministerin auf verfassungsrechtlich und politisch vermintes Terrain. 

Die Zeitschrift "Compact" ist mitsamt ihren Kanälen und Shops ab sofort verboten. So hat es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) entschieden. "Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie", teilte sie mit. 

Damit hat Faeser völlig recht. Dennoch ist die Entscheidung problematisch. Denn sie berührt die Pressefreiheit.

Selbstverständlich besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass "Compact" eine rechtsextremistische Publikation ist. Chefredakteur Jürgen Elsässer hat, wie andere vor ihm, den Weg von Links- zum Rechtsradikalen längst komplett vollzogen. 

Sein Magazin ist ein rassistisches und widerliches Hetzblatt, das den Umsturz propagiert. "Wir wollen dieses Regime stürzen", stand laut Verfassungsschutz auf der Internetseite. 

Und es ist ja nicht nur das Magazin, das eine Auflage von 40.000 Exemplaren haben soll. Zu der Publikation gehört, nur unter anderem, ein großer Online-Shop, mit dem diverse rechtsextremistische Publikationen und Devotionalien vertrieben werden. 

Das Verbot zeige, sagte deshalb Faeser, "dass wir auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen, die ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen". 

Was im Grundgesetz steht

Tatsächlich sieht das Grundgesetz vor, dass sich die Demokratie gegen seine Feinde wehren kann. In Artikel 9, der die Vereinsfreiheit regelt, heißt es ausdrücklich: "Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Doch die entscheidende Frage lautet: Ist "Compact" vor allem ein Verein – oder nicht eher ein Presseerzeugnis? Und steht es damit, so wie übrigens auch der stern, unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes? 

In Artikel 5 heißt es: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet." Und: "Eine Zensur findet nicht statt."

Vereinsrecht und Pressefreiheit sind miteinander abzuwägen

Eben weil Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland herrschen, dürfen auch Presseerzeugnisse herausgegeben werden, die sich wohlbegründet als extremistisch bezeichnen lassen. Sie heißen zum Beispiel "Zuerst" und "Nation und Europa" oder eben "Rote Fahne" und "Unsere Zeit". 

Kurzum: Man muss kein Verfassungsjurist sein, um zu erkennen, dass die Bundesinnenministerin zwei Rechtsgüter miteinander abzuwägen hatte – und sich am Ende klar entschied. Das Verbot, sagt sie, solle zeigen, "dass wir auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen".

Eine Basis für den Schritt dürfte sein, dass der Verfassungsschutz das Magazin seit Ende 2021 als "gesichert rechtsextrem" einstuft und entsprechend intensiv überwacht. Womöglich fühlte sich Faeser aber auch durch den Fall von linksunten.indymedia ermutigt. Die linksextremistische Internetplattform war 2017 durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) verboten worden, nachdem er bereits im Jahr davor die rechtsextremistische Plattform "Altermedia Deutschland" dichtgemacht hatte. 

Die Aktivisten von "indymedia" klagten vergeblich dagegen. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Beschwerde gar nicht erst zu, nachdem das Bundesverwaltungsgericht das Verbot gebilligt hatte. 

Allerdings wiesen die Verwaltungsrichter die Klagen vor allem aus formalen Gründen ab und prüften nicht die materiellen Verbotsgründe. Inhaltlich äußerten sie sich eher ambivalent. 

Zwar sei das Vereinsrecht anwendbar, weil es auch Vereinigungen umfasse, deren Zweck Pressetätigkeit sei, erklärten sie. Gleichzeitig dürfe das Vereinsverbot aber nicht auf Meinungsäußerungen gestützt werden, die den Schutz der Meinungsfreiheit genössen.

Bundesverwaltungsgericht: Verhältnismäßigkeit von Verboten wichtig

Kernsatz der damaligen Gerichtsmitteilung: "Der besondere Schutzanspruch der Medien ist im Rahmen der Prüfung der Verbotsgründe, insbesondere der Verhältnismäßigkeit des Verbots, zu berücksichtigen."

Insofern erscheint es fraglich, ob "indymedia" als Präzedenzfall taugt. Zudem ist der realpolitische Kontext von "Compact" anders. Das Magazin gehört eindeutig zum sogenannten Vorfeld der Parlamentspartei AfD, die wiederum in Sachsen, Thüringen und Brandenburg vor wichtigen Landtagswahlen steht.

"Compact" machte Wahlkampf für die AfD

Elsässer und sein Magazin promoteten nicht nur rechtsextremistische AfD-Politiker wie Björn Höcke, sondern machten regelrecht Wahlkampf für die Partei. Mit einer mobilen Bühne zog "Compact" vor allem durch Ostdeutschland, um für eine "Blaue Welle" bei den Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen zu werben.

Das Verbot von "Compact" richtet sich damit zumindest indirekt auch gegen die AfD, wobei deren Vorsitzende zuletzt etwas auf Abstand zu dem Magazin gingen. Weil Elsässer auch Geld für die Partei sammelte, fürchteten Alice Weidel und Tino Chrupalla den nächsten Parteispendenskandal und distanzierten sich.

Diese taktische Entfernung hielt die beiden Parteichefs aber nicht davon ab, am Dienstag ihre Empörung kundzutun. "Das Verbot des Compact-Magazins ist ein schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit", erklärten sie.

Weidels Doppelstandard bei der Pressefreiheit

Die propagandistische Zuspitzung abgezogen, lässt sich der Vorgang durchaus so betrachten. Faeser begibt sich mit ihrer Entscheidung bewusst in den Grenzbereich der Zensur. Umso wichtiger ist es, dass die Entscheidung rasch gerichtlich überprüft wird. 

Im Übrigen darf aber das Pressefreiheitsverständnis der AfD, auf deren Demonstrationen regelmäßig "Lügenpresse!" skandiert wird, als mindestens interessegeleitet gelten. So bezeichnete die Bundestagsfraktion das Verbot des Portals indymedia" als dringend erforderliche, längst überfällige Maßnahme gegen die Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch gewaltbereite Linksextremisten. 

So etwas nennt sich dann wohl Doppelstandard.