VERTRAUENSFRAGE Ja zu Schröder, Nein zum Einsatz

Das Schicksal der Koalition liegt in den Händen von acht Grünen-Abgeordneten, die den Bundeswehreinsatz aus Überzeugung ablehnen. Sie stehen - wie eine Abgeordnete sagte - vor einem »quälenden Dilemma«.

»Bei Wahlen im Januar sind wir mausetot« - auf diese Aussage reduziert eine Spitzenpolitikerin der Grünen die Existenzfrage, vor die sich der Koalitionspartner der SPD durch die Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder gestellt sieht. Wenn die Koalition am Freitag durch zu viele Nein-Stimmen der Grünen platzte, gäbe es Anfang des Jahres wohl Neuwahlen. Partei- und Fraktionsführung der Grünen geben sich zuversichtlich, dass es dazu nicht kommt. Auch ihr zweites Schreckens-Szenario, eine Spaltung auf dem Parteitag nächste Woche über den Afghanistan-Einsatz, glauben sie verhindern zu können. Parteienforscher Joachim Raschke malt den Untergang der Partei an die Wand. Es gehe um ein Zerreißen »zwischen den Regierungsgrünen und der Basis. Und das halten sie nicht aus.«

Parteichefin Claudia Roth und die gesamte Führungsriege sehen das anders. Auch Roth räumt ein, dass in der Partei eine Ablehnung des Bundeswehr-Einsatzes weit verbreitet ist. Die Vertrauensfrage des Kanzlers, die einige Kritiker in der Grünen-Fraktion von ihrem Nein abbringen soll, könnte zudem zusätzlichen Unmut auf dem Parteitag schüren. Fraktionschef Rezzo Schlauch rechnet mit deutlicher Kritik am Regierungskurs. Doch wie Roth gründet er seine Zuversicht darauf, dass kaum jemand die Ablehnung des Bundeswehr-Einsatzes mit der Forderung verbunden habe, notfalls aus der Koalition auszusteigen.

»Jetzt ist das Maß voll«

Allein ihr eigener Parteibezirk im bayerischen Schwaben habe den Austritt aus der Koalition gefordert, sagt Roth. »Jetzt ist das Maß voll«, habe ihr die Bezirkssprecherin nach der Zustimmung des Parteirates zum Afghanistan-Einsatz auf den Anrufbeantworter gesprochen. Bayerns Parteispitze indes habe in einem Rundbrief an alle Mitglieder klargestellt: Nein zum Bundeswehr-Einsatz, aber nicht um den Preis der Koalition.

Die Gewissensfrage bei den Gegnern des Afghanistan-Einsatzes in der Fraktion stellt sich nun anders: »Jetzt ist es so, dass wir über die Koalition entscheiden müssen. Das ist schon schwer«, sagt Irmingard Schewe-Gerigk - eine von acht Grünen, die sich auf ein Nein festgelegt hatten. Partei- und Fraktionsführung sind zuversichtlich, dass der Block zerbricht und nur vier bis fünf Nein-Sager übrig bleiben. Das würde für Schröder reichen, der die Abstimmung über den Einsatz mit dem Vertrauensvotum zur Koalitions-Schicksalsfrage gemacht hat.

»Kein Zeichen für besondere Führungskunst«

Zu diesem hohen Einsatz verleitet haben den Kanzler - so einhellig die Meinung bei den Grünen - mögliche Abweichler in der SPD-Fraktion. »Der Kanzler prügelt die Grünen, aber er meint die SPD«, sagt ein Parteistratege der Grünen. Schröder habe einen Regiefehler begangen, indem er vorige Woche die Bedeutung einer eigenen rot-grünen Mehrheit herunter gespielt habe. Das verheerende Presseecho und Zweifler in der SPD seien die Auslöser für die Vertrauensfrage gewesen. Parteienforscher Raschke spricht von einem hartem Strategiewechsel: »Das ist nicht unbedingt ein Zeichen für besondere Führungskunst.«

An SPD-Fraktionschef Peter Struck hört man bei den Grünen leise Kritik, er habe sie lange im Dunkeln darüber gelassen, dass es auch in der SPD-Fraktion eine beträchtliche Zahl von Abweichlern geben könnte. Schröder sei es in der Fraktion der Grünen am Dienstag gelungen, ein Wir-Gefühl hervorzurufen, sagt ein Teilnehmer. Er habe überzeugend dargelegt, dass er an Rot-Grün festhalten wolle - auch über die Bundestagswahl im Herbst 2002 hinaus. Mit einem Zwinkern habe er indirekt darauf hingewiesen, dass sein Gang zur FDP-Fraktion gleich im Anschluss nicht für einen möglichen Wechsel des Koalitionspartners stehe. Die FDP habe zuerst angefragt, und dann habe es sich nicht mehr einrichten lassen, erst die FDP und dann die Grünen zu besuchen.

Das Schicksal der Koalition liegt nun in den Händen von acht Grünen-Abgeordneten, die den Bundeswehr-Einsatz aus Überzeugung ablehnen. Sie stehen - wie eine Abgeordnete sagte - vor dem »quälenden Dilemma: Soll ich inhaltlich mit meiner Überzeugung stimmen, mit der Konsequenz, dass Rot-Grün begraben wird, obwohl ich für Rot-Grün bin?« Die Antwort lässt sie offen. Eine andere Abgeordnete scherzte, ihre Haftpflichtversicherung trage ja vielleicht die Kosten des Grabsteins für Rot-Grün.

»Pech und Schwefel überall«, beschrieb eine Abgeordnete ihre - aus ihrer Sicht - ausweglose Lage. Sie fürchte ein Wegbrechen der Basis in den Kreisverbänden, wenn man dem Bundeswehr-Einsatz zustimme. Parteichefin Roth räumt ein, dass es aus diesem Grund bereits erste Parteiaustritte gegeben habe. Die Alternative - Ausstieg aus der Koalition - wöge jedoch schwerer, heißt es in der Grünen-Führung. Bei Neuwahlen Anfang des Jahres würde man für ein Platzen von Rot-Grün bestraft. Bei Wahlen im September habe man mehr aufzuweisen und könne auf grüne Erfolge verweisen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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»Das ist dann das Ende der Grünen«

Wenn die Vertrauensfrage und damit die Koalition scheitere, gebe es Neuwahlen, warnt Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel: »Das ist dann das Ende der Grünen.« Raschke sagt, ein Scheitern des Vertrauensvotums könnte bedeuten, »dass es vielleicht überhaupt nie wieder in der Bundesrepublik Rot-Grün auf der Bundesebene geben wird«.

Als Retter der Koalition könnte Hans-Christian Ströbele dastehen. Von ihm wird in der Fraktion am ehesten erwartet, dass er aus dem Nein-Block ausscheren könnte. Ströbele hat gesagt, er denke nach - mit Unterstützung von Außenminister Joschka Fischer, den er am Dienstagabend bei einer Grünen-Herbstfeier für ein Gespräch unter vier Augen beiseite bat.