Die Union hat den Vorwurf von Außenminister Joschka Fischer zurückgewiesen, bereits die Regierung Helmut Kohl habe die Instrumentarien für den Visa-Missbrauch in der Ukraine geschaffen. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Norbert Röttgen nannte dies definitiv falsch. Regierungssprecher Bela Anda bekräftigte allerdings die Ansicht, dass die Missbrauchsfälle nicht auf dem Volmer-Erlass, sondern auf Verfügungen der Vorgängerregierung beruhten.
Reiseschutzversicherung nur eine von vielen Voraussetzungen
Röttgen wies im Deutschlandradio darauf hin, dass die 1995 eingeführte Reiseschutzversicherung nur eine von mehreren Voraussetzungen für die Erteilung von Visa gewesen sei. Zusätzlich sei der Zweck der Reise geprüft worden. Diese Prüfpraxis sei eindeutig erst in der Amtsperiode Fischers auf Anweisung gelockert worden. Unter Kohl habe die Visa-Ausgabe "nicht ansatzweise die Dimension" gehabt, wie in den Jahren 1999 bis 2004, in denen sechs Millionen Visa ausgestellt worden seien. "Die Misere fällt ausschließlich in Fischers Amtszeit", sagte Röttgen.
Stichwort Reiseschutzpass
Bei den Reiseschutzpässen der baden-württembergischen Reise-Schutz AG handelt es sich um Dokumente, die bei Reisenden aus Nicht-EU- Ländern über Kranken-, Haftpflicht- und Rückführungsversicherung deren Bonität absichern soll. Anfang der 90er-Jahre war das Reisebüroverfahren eingeführt worden, wonach Visums-Antragsteller nicht persönlich bei den Auslandsvertretungen vorsprechen mussten, wenn sie ein Touristenvisum über bestimmte Reisebüros beantragten. Seit 1995 bestand zudem die Möglichkeit, über etwa vom ADAC vermittelte Reiseschutzversicherungen mögliche Krankheitskosten während der Reise oder Kosten einer zwangsweisen Rückführung abzudecken.
Am Donnerstag hatte Fischer in Kiel gesagt, das Problem des Visa-Missbrauchs liege weder beim Volmer-Erlass noch beim "Multi-Kulti-Denken" der Grünen, sondern am Reiseschutzpass und an der Reisebüroregelung, die 1995 vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther eingeführt worden seien. Beide Instrumentarien seien missbrauchsanfällig. Mit der Bestimmung des Volmer-Erlasses "im Zweifel für die Reisefreiheit" sei nur ein neuer Ermessensspielraum für bestimmte Fälle vorgesehen gewesen.
Die "Berliner Zeitung" meldete unterdessen, an der Vergabe so genannter Reiseschutzpässe sei seit April 2002 eine Firma beteiligt gewesen, deren Inhaber das Bundeskriminalamt schon sieben Monate zuvor der organisierten Kriminalität zugeordnet hatte. Trotz der BKA-Informationen habe sich das Innenministerium noch im Sommer 2002 für eine Beibehaltung des Reiseschutzsystems an deutschen Botschaften ausgesprochen.
Fischer wird nach Ansicht des neuen außenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion, Fritz Kuhn, die Visa-Affäre unbeschadet überstehen. Kuhn sagte der "Rhein-Neckar-Zeitung", wegen "des Geschreis" der Union werde der in der Welt als hochkompetent angesehene Außenminister nicht "in die Wüste" geschickt.
Die Union forderte unterdessen Auskunft über Reisen Fischers nach Kiew und seine Gespräche mit dem deutschen Botschafter vor Ort. "Wir werden dem nachgehen und das im Ausschuss genau untersuchen", zitierte die Hannoversche "Neuen Presse" den Unions-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss, Eckart von Klaeden. Das Auswärtige Amt bestätigte der Zeitung, dass Fischer zwischen 2000 und 2004 zwei Mal die Ukraine besuchte.