Früher wurden Meinungsforscher zu ihrer Forschung befragt, heute wird nach ihrer Meinung geforscht. So zumindest in Berlin am Tag nach der Wahl. Die großen Umfrageinstitute, Allensbach, Forsa, Infratest Dimap und Forschungsgruppe Wahlen, haben zur Pressekonferenz geladen und sich fragen lassen, woran es denn liege, dass ihre Umfragen so gar nicht das schwache Abschneiden der Union vorhersehen konnten. Noch wenige Tage vor der Wahl lagen CDU/CSU in allen Umfragen bei mindestens 40 Prozent, geworden sind es gerade einmal knapp über 35. Forsa-Chef Manfred Güllner musste entsprechend zerknirscht einräumen, dass man den Anteil der Union schlicht und einfach nicht habe abschätzen können.
Aber Meinungsforscher sind auch Zahlen-Menschen und so hatten sie prompt eine Analyse ihrer Fehldeutungen zur Hand. Schuld seien nicht die angewandten Methoden, so Güllner, sondern der Wähler, dessen Wahlverhalten sich deutlich geändert habe. Renate Köcher von Allensbach etwa beklagt, dass der Anteil der Kurzentschlossenen, also derjenigen die bis zu einer Woche vor der Wahl noch nicht wissen, was sie wählen sollen, bei knapp 30 Prozent liege. Für verlässliche Umfragen sei das nicht hilfreich.
Dazu kommt nach Ansicht von Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, dass die Bindungen des Wählers an die großen Parteien stark nachgelassen habe. So spiele die Frage der Koalitionstaktik eine immer größere Rolle. Entsprechend habe die FDP mit ihrer Zweitstimmenkampagne punkten können. So erfolgreich übrigens "wie noch keine Partei zuvor", wie Richard Hilmer von Infratest Dimap sagt.
Auch ein anderes, neues Phänomen könnten die schlechten Prognosen für die Union erklären. So vermutet Manfred Güllner, dass die durch die Institute befragten Personen nicht immer die ganze Wahrheit sagten. Vor allem die Unionswähler hätten bei der Befragung andere Angaben gemacht als dann später im Wahllokal votiert. Güllner sieht hier eine Diskrepanz "zwischen dem, was uns gesagt wurde, und dem, was am Sonntag passiert" sei. Renate Köcher sagt es deutlicher: "Man brüstet sich im Vorfeld damit, die Union zu wählen und in der Kabine entscheidet man sich doch anders.
Paul Kirchhof irritiert die Wähler
Unabhängig von ihrer Selbstkritik, haben sich die Forschungsinstitute auch zum schlechten Abschneiden der Union geäußert. CDU/CSU haben sich offenbar mit ihrer Steuerpolitik und Konzentration auf Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik geschadet. Dabei hat nicht nur Angela Merkels Steuerexperte Paul Kirchhof die Wähler irritiert, sondern auch das Steuerkonzept, von dem nur die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Bewusstsein der Wähler hängen geblieben sei. Eine Volkspartei müsse auch Werte abdecken. Wähler, die diese Aspekte vermisst hätten, seien zur FDP gewandert, so Richard Hilmer.
Güllner glaubt zudem, dass Vorbehalte gegen Angela Merkel als Unionskanzlerkandidatin die Unionswähler davon abgehalten hätte, ihr Kreuzchen bei CDU oder CSU zu machen. Besonders in Bayern sei das auffällig gewesen. Im Süden habe es die Union verpasst, 800.000 Stimmen zu mobilisieren.