Petra Köpping könnte Geschichte schreiben: Als SPD-Spitzenkandidatin, die ihre Partei in Sachsen unter die Fünf-Prozent-Hürde führt. Und somit aus dem Landtag. Dieses Szenario wäre ein Novum für die SPD, ein herber Schlag sowieso – ausgerechnet ein Jahr vor den Bundestagswahlen. Doch glaubt man den Demoskopen, ist es durchaus denkbar.
Laut einer aktuellen Civey-Umfrage für die "Sächsische Zeitung" liegt die AfD inzwischen bei 37 Prozent (Landtagswahl 2019: 27,5 Prozent), die regierende CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer käme auf 33 Prozent (32,5 Prozent) und die mitregierende SPD auf magere 3 Prozent (7,7 Prozent).
Bisher sind das nur Umfragen, eine Momentaufnahme ohne Konsequenz. Aber der Blick in die Glaskugel zeigt: Der SPD stehen turbulente Monate bevor.
Das Superwahljahr 2024 insgesamt droht für die Sozialdemokratie zu einer Schlappe im großen Stil zu werden. In Sachsen wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt, ebenso in Thüringen. Drei Wochen später ist Brandenburg dran. Schon bei der Europawahl am 9. Juni könnte die AfD laut aktuellen Erhebungen ordentlich zulegen – und die SPD teils deutliche Verluste einfahren. Wie zum Beispiel in Sachsen.
Dabei sollte Köpping, 65, seit 21 Jahren in der SPD, die Trendwende bringen. Die Spitzenkandidatin gilt wegen ihrer (Krisen-)Erfahrung und Ost-Biografie als Joker des kleinen Landesverbands, der bei der vergangenen Landtagswahl 2019 das bisher schlechteste Ergebnis in seiner Geschichte verkraften musste.
Köpping war schon Bürgermeisterin in der DDR, Integrationsministerin während der Flüchtlingskrise 2015/16, später Sozial- und Gesundheitsministerin in den Corona-Jahren. Folglich gab sie das selbsterklärte Ziel aus, "wenigstens zweistellig" im September abzuschneiden. Das klingt bescheiden, ist angesichts der Schwäche der SPD in Sachsen aber durchaus ambitioniert. Vielleicht sogar überambitioniert?
Köpping macht Ampel-Koalition verantwortlich
Den Grund für die miserablen Umfragewerte sieht die SPD-Spitzenkandidatin jedenfalls nicht bei sich, sondern bei der Ampel-Koalition im Bund. "Die Umfragewerte sind nicht landespolitisch zu begründen", sagte Köpping jetzt dem "Tagesspiegel". "Aber sie spiegeln die Stimmung hier in Sachsen gegenüber der Ampel wider." Angesichts dieser Stimmung würden die landespolitischen Themen in den Hintergrund treten. Die Bundesregierung habe "die Erwartungen vieler Menschen enttäuscht – gerade hier im Osten", so die Sozialministerin. "Viele haben das Gefühl, dass nicht an sie gedacht wird, wenn es um die vielen Veränderungen geht."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Tatsächlich geben in der besagten Civey-Umfrage alle Ampel-Parteien kein gutes Bild ab, auch Grüne und FDP hätten Einbußen zu verzeichnen. Demnach würden die Liberalen erneut den Einzug in den Landtag verpassen, dem sie schon seit 2014 nicht mehr angehören. Die Unbeliebtheit der Ampel in der Wählergunst, die sich bundespolitisch zeigt, scheint sich in Sachsen zu bestätigen.
Auf diese zehn Politikerinnen und Politiker sollten Sie 2024 achten

Wolf wer? Ja, diesen Namen sollte man sich merken. Reuter, 39, noch keine zwei Jahre im Finanzministerium, ist ab sofort als Staatssekretär für den Haushalt verantwortlich. Er muss zusammenfügen, was kaum zusammenpasst. Muss aus komplett konträren Ausgabe-Prioritäten der drei Ampelpartner einen Etat basteln, der verfassungsfest ist. Anders als sein legendärer Vorgänger Werner Gatzer ist Reuter kein Jurist, kein Klempner der Kameralistik, der alle Haushaltstricks kennt. Er ist – darum setzt Christian Lindner auf ihn – ein versierter Ökonom, der mit seinem Minister die Überzeugung teilt, dass der Staat mit seinen Mitteln besser haushalten müsse.
Überbewerten sollten man die Zahlen indes nicht. Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, glaubt nicht, dass die SPD in Sachsen komplett in der Versenkung verschwindet. Er halte 7 bis 8 Prozent für realistisch, sagte er der "Berliner Zeitung". Auch andere Umfrageinstitute sehen die Genossen ein paar Prozentpunkte über der Fünf-Prozent-Hürde. Trotzdem: "Das ist natürlich auch nicht gerade ein tolles Ergebnis", sagte Güllner.
Er bezweifelt zudem, dass die AfD in die ostdeutschen Staatskanzleien einzieht. Der Demoskop mahnt jedoch: "Die demokratischen Parteien müssen sich jetzt zusammentun und gemeinsam gegen die AfD vorgehen." Die Front müsse hart stehen, womit man insbesondere Nichtwähler mobilisieren und so einen Erfolg der AfD verhindern könne. Laut Güllners Zahlen könnte die AfD zwar 30 Prozent oder mehr erhalten, jedoch keine absolute Mehrheit.
Der Konkurrrenz Angriffsfläche geboten
SPD-Frau Köpping könnte so Opfer widriger Umstände werden, die über den traditionell schweren Stand ihrer Partei in Sachsen hinausreichen. Da ist auf der einen Seite die AfD, die den Protest gegen die Ampel-Politik gezielt anheizt und einsammelt. Und da ist der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, der ebenfalls wortreich über die Arbeit der Bundesregierung herzieht.
Die Kampagnen gegen die Ampel-Koalition seien in Sachsen besonders stark, sagte Köpping der "Berliner Zeitung". Mit Populismus und Fake News werde die Stimmung angeheizt, eben nicht nur von der AfD. Das Resultat könne man jetzt sehen. Die sächsische CDU arbeite sich an der Ampel ab, präsentiere aber keine Lösungen – das schwäche das Vertrauen der Menschen in die Politik insgesamt. "Und wem nutzt das? Am Ende nur einer Partei, der AfD", sagte Köpping.
Das ist Wahlkampfrhetorik, klar. Zumal Köpping zuletzt mit einer Förderaffäre in ihrem Ministerium zu kämpfen hatte, die der Konkurrenz reichlich Angriffsfläche bot. Doch zeigt ihr Rundumschlag auch: Die Nervosität der SPD in Sachsen wächst – schon beim Blick in die Glaskugel.