Nach ihrem tränenreichen Zusammentreffen mit Angela Merkel in ihrer Rostocker Schule gibt sich das Flüchtlingsmädchen Reem versöhnlich. Die Bundeskanzlerin hatte der Schülerin bei dem Bürgerdialog "Gut leben in Deutschland" erklärt, dass nicht alle Flüchtlinge aufgenommen werden könnten. Die 14-Jährige brach in Tränen aus, denn sie hatte zuvor von ihrer Hoffnung auf eine Zukunft in Deutschland erzählt. Merkel schlug viel Empörung für ihre unbeholfene Reaktion entgegen, doch Reem beschreibt die Antwort nun als fair.
Das palästinensische Mädchen sei froh gewesen, dass Merkel so ehrlich war, sagte es der "BamS". "Es hätte mich noch mehr gekränkt, wenn sie nicht ehrlich gewesen wäre. Ich mag ehrliche Menschen wie Frau Merkel." Dass es zu dem Gespräch gekommen war, war nur ein Zufall. "Eigentlich wollte ich nichts fragen, aber ich habe mir das spontan überlegt. Es kam einfach so aus mir raus", sagt Reem.
Die Familie des Mädchens hat nur eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung. Trotzdem stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie bleiben kann. Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling hat sich eingeschaltet und will einen Abschiebebeschluss für die fünfköpfige Familie vorläufig nicht vollziehen. Auch bei anderen ähnlichen Fällen soll zunächst abgewartet werden.
"Einzige in meiner Klasse mit einer 1 in Deutsch"
Der Weg der Familie nach Deutschland führte über ein Flüchtlingslager im Libanon, das es bereits seit dem Jahr 1948 gibt. Auch Reems Eltern wurden hier geboren. Das Mädchen kam jedoch zwei Monate zu früh zur Welt und erlitt durch die fehlende medizinische Versorgung Gehirnschäden. Deshalb ist sie zu 30 Prozent gelähmt und muss unter anderem eine Beinschiene tragen.
Mit einem Krankenvisum konnte Reem im Jahr 2010 zu einer dringend nötigen Operation nach Deutschland reisen. Auch heute kann die 14-Jährige nur mit Hilfe gehen und benötigt einen Rollstuhl.
Leicht fallen dem Mädchen Sprachen. Nur sechs Monate nach ihrer Ankunft beherrschte sie bereits Deutsch. "Am Freitag haben wir Zeugnisse bekommen: Ich bin die einzige in meiner Klasse mit einer 1 in Deutsch", sagt Reem der "BamS". Sie spricht außerdem Arabisch, Englisch und etwas Schwedisch. "Nächstes Jahr lerne ich noch Französisch", sagt sie.
Schwesig: "Gut, dass wir das Bleiberecht ändern"
Mehrere Politiker nahmen den Vorfall zum Anlass die bisherige Flüchtlingspolitik zu kritisieren. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig zeigte sich von den Schilderungen des Flüchtlingsmädchens erschüttert. "Das Schicksal des Mädchens hat mich berührt und zeigt, in welch verzweifelter Situation Flüchtlingskinder in unserem Land sind, wenn sie keine Perspektive haben", sagte Schwesig der "BamS". "Deshalb ist es gut, dass wir das Bleiberecht ändern und jungen Menschen, die hier erfolgreich zur Schule gehen, die Sprache lernen, Freunde gefunden haben - auch eine Zukunft bieten." In diesem Sommer soll das neue Bleiberecht in Kraft treten.
Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann erneuerte seine Forderung nach einem Einwanderungsgesetz. "Es läuft etwas grundfalsch in Deutschland, wenn wir einerseits mehr Nachwuchs brauchen und andererseits junge, gut integrierte Flüchtlinge von der Abschiebung bedroht sind", sagte er der "Welt am Sonntag". "Ich will deshalb ein Einwanderungsgesetz, bei dem alle Einwanderer schnell Klarheit haben, ob sie bleiben können oder nicht."

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"Junge, leistungsbereite Menschen, die sich integrieren wollen, müssen wir willkommen heißen und dürfen sie nicht abschrecken", sagte Oppermann. Schüler sollten nicht mehr weggeschickt werden, sofern sie perfekt Deutsch gelernt hätten, forderte er.