An Kurt Beck hagelt sich alles ab. Er, nur er, gilt als Verderber der SPD. Als der Mann, der ihrer Krise ein Gesicht gibt, aber keine Lösung verspricht. Medial zur Karikatur entstellt: ein vermeintlich tumber Provinzler, unfähig zur rettenden Idee, zum kühnen Entwurf. Häme über den Pfälzer ist der Volkssport der Saison - mit durchschlagenden Folgen: Nur 15 Prozent der Deutschen würden ihn aktuell zum Kanzler wählen - so wenig wie nie. 42 Punkte Rückstand gegenüber Angela Merkel - so viel wie nie. Was aber soll der Mann dagegen tun, allein, in Mainz? Wo er ein Land zu regieren hat, und das nicht schlecht. Wie soll er von dort aus seiner Partei Kontur und Auftrag geben in Berlin, in der Großen Koalition, der er doch selbst nicht angehört? Wo ganz andere die Weichen stellen und der SPD ein Gesicht geben - oder eben nicht. Wo sie grienen über ihn, wo sie ihm in die Parade fahren, wann immer sie können.
Lustvoll inzwischen, destruktiv bis zum Partisanentum. Besonders einer, dessen eigentliche Aufgabe darüber in Vergessenheit geraten ist: Franz Müntefering, der Vizekanzler. Schlägt Beck ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD vor, zieht er das prompt in Zweifel. Besteht der Parteivorsitzende auf einem Koalitionsverbot mit der Linkspartei in den westlichen Ländern, setzt der Vizekanzler dagegen, das hätten alleine die Landesverbände der SPD zu entscheiden. Stellt Beck für 2008 höhere Renten in Aussicht, dämpft sein Widerpart die Hoffnungen. Müntefering macht Beck klein, wann immer er kann. Solchen Verschleiß hält keine Partei aus. Die Kanzlerin verfolgt das Schauspiel amüsiert, sie füllt den Raum, den der Vizekanzler ihr frei schlägt.
Dabei ist Müntefering selbst ein Problem der SPD - was ihr Ansehen und ihren Erfolg in der Großen Koalition angeht, in Wahrheit das weitaus größere als Beck. Seine Pflicht wäre es, die Politik der sozialdemokratischen Minister zusammenzubinden, ihr Überschrift und Richtung zu geben, sie abzugrenzen von der Union und sie nach außen konturiert darzustellen. An Material dafür fehlte es nicht. Denn die SPD, viel mehr als die Union, hat die undankbare Arbeit der Veränderung und Neugestaltung geschultert. Peer Steinbrück steht für Unternehmenssteuerreform und Haushaltssanierung, Ulla Schmidt haftet für die Gesundheitsreform, Sigmar Gabriel macht den Klimaschutz zu seinem Thema, Franz Müntefering hat die Rente mit 67 durchgesetzt und streitet für den Mindestlohn. Wir regieren, müsste das selbstbewusste Motto der SPD in der Koalition lauten. Unterlegt mit einer Synapse, einer Gegenüberstellung der Leistungen von SPD und Union. Die Bilanz sähe schwarz aus bei den Roten - und rot bei den Schwarzen. Doch nur neun Prozent der Deutschen glauben, dass die SPD mit den Problemen in Deutschland am besten fertig wird, 30 Prozent hingegen, die Union.
Die SPD braucht einen Mann, der die Leerstelle in Berlin füllt. Steinmeier und Steinbrück kommen dafür infrage - zur Halbzeit der Koalition im November
Der Vizekanzler aber zeigt sich unfähig zur Selbstdarstellung. Er beugt den Rücken vor der Kanzlerin. Spricht ihre Sprache, bekräftigt ihre Bilder, duldet ihre Eroberungsfeldzüge im Reich der Sozialdemokraten. Lässt es etwa geschehen, dass sie die Teilhabe aller am Wohlstand auf ihre Fahnen schreibt, die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer nun aber auf die lange Bank schiebt, weil die SPD das bessere Konzept erarbeitet hat. Kein Wort verliert Müntefering darüber - gilt das doch als Projekt Becks. Eisern wird er nur, wenn es um sein Thema geht, sein einziges: den Mindestlohn. Vor Publikum wirkt der Vizekanzler wie Knetmasse in Merkels Hand, wie einer aus ihrer Partei. Ein älterer, höflicher Herr mit sprödem Charme, der ihr den Auftritt gönnt. Sancho Pansa an der Seite von Doña Quichotte. Ein treuer Knappe. Er hat ja auch keinen Ehrgeiz mehr.
Müntefering hat seine Zukunft hinter sich, war alles, was er werden konnte - und eigentlich mehr als das: Bundesgeschäftsführer, Generalsekretär, Fraktionschef und Bundesvorsitzender der SPD, zweimal Bundesminister. Als Arbeitsminister ist er ein Pfund in der Koalition, doch seiner Partei fühlt er sich nur noch bedingt verpflichtet. Das ist ehrbar, aber zu wenig für die SPD. 2009 geht seine Karriere zu Ende. 69 ist er dann. Die SPD aber braucht schon jetzt einen Mann, der die Leerstelle in Berlin füllt. Einen mit Zukunft. Einen, der das Vizekanzleramt in der zweiten Hälfte der Koalition kraftvoll ausfüllt. Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück kommen dafür infrage. Im Oktober werden beide zu stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Im November ist Halbzeit der Koalition. Der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel, unter dem Eindruck des vorangegangenen Parteitags. Franz Müntefering selbst sollte den Weg freigeben. Und damit auch einem möglichen Kanzlerkandidaten Gelegenheit zur Profilierung geben - als Alternative zu Beck.