Stoiber schrumpft. Täglich. Aber er nimmt es nicht wahr. Ganz im Gegenteil. Sieht sich selbst überlebensgroß, mächtig, altersweise und abgeklärt: als einzig verbliebenen Hüter der Erfolgsformel einer Volkspartei. Der Cola-Mann der Union. Alle anderen machen sich selbst fertig - Gerhard Schröder pulverisiert die SPD im Reformchaos, Angela Merkel verzockt die Mehrheitsfähigkeit ihrer CDU mit einem aberwitzigen Kopfpauschalen-Modell im Gesundheitssystem.
Denkt Stoiber. Und gibt den Schutzpatron des kleinen Mannes. Zündet Kerzen an am eigenen Altar. Und bockt. Und blockt. Und schrumpft.
Ein Martyrium im Gebrüll der Einfältigen
Merkel wächst. Stündlich. Und sie erkennt es, wird sicherer, klarer, eiserner - je wütender, je populistischer, je mutloser der Widerstand gegen die Reformen ihrer Herzog-Kommission wird. Es ist ein Martyrium, im Gebrüll der Einfältigen, der Verdreher, der Volks-Anwanzer mit Argumenten durchzukommen. Doch nur der steinige Weg führt zum Sieg. Angela Merkel geht ihn. Die Frau der taktischen Winkelzüge, der Machtspiele, der witternden Unentschlossenheit ist zur Kämpferin für eine Sache geworden. Endlich. Sie wagt. Und treibt. Und steht.
Der CSU-Vorsitzende ist nicht mehr Kanzlerkandidat der Union. Kann es nicht mehr sein. Auch wenn er das genau umgekehrt sieht. Doch ein Mann der Bayern-Partei, der gegen die fundamentale Programmatik der CDU anrennt, kann für die Union nicht mehr stehen. Wäre er 2002 Kanzler geworden, das wissen wir jetzt, hätte sich nichts geändert: Er wäre ein aktensicherer Schröder geworden. Setzt sich Angela Merkel im Dezember auf ihrem Parteitag mit dem Herzog-Konzept durch - alles spricht dafür -, dann hat sich Stoiber selbst matt gesetzt. Und der CDU-Vorsitzenden den Sockel der Kanzlerkandidatur gegossen. Sie hätte es verdient.
Frau der Zukunft
Denn so, mit diesem Programm, ist sie die Frau der Zukunft. Stoiber wird zum Lafontaine der Union. Ein Mann von gestern, der die Heerscharen der Verängstigten und Mutlosen unter dem vermeintlich ewig siegreichen Banner des Es-kann-eigentlich-alles-so-bleiben versammelt. Der eisige ökonomische Wind wird seine Truppen in alle Winde zerstreuen. Auch wenn die Trompete heute noch so markig schmettert.
Denn Merkels Bruch mit den lohngebundenen Sozialsystemen ist überfällig: Die Kopfpauschale drückt die Lohnkosten und verspricht Jobs. Auch Gerhard Schröder sympathisiert ja heimlich damit, von Olaf Scholz und Ulla Schmidt ganz zu schweigen. Aber für Rot und Grün ist die Bürgerversicherung nun mal das zugkräftigere Label: Es duftet betörend nach Solidarität, nach Gerechtigkeit, nach Auch-die-Reichen-müssen-endlich-was-hergeben. Die Wahlkämpfe bis 2006 werden zu Kulturkämpfen aufgerüstet: Wir verteidigen die soziale Wärmehalle, ihr wollt die Menschen in die Kälte schubsen.

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Wäre Stoiber 2002 Kanzler geworden, hätte sich nichts geändert
Die Schlacht wird um die Eroberung der Hirne ausgetragen, assoziative Begriffe werden sie entscheiden. "Solidarische Gesundheitsprämie" will CDU-General Laurenz Meyer der "Bürgerversicherung" entgegenschmelzen - es wird dennoch alles andere als einfach. Denn erstmals in der deutschen Sozialgeschichte trennen Systemgräben nicht nur die großen Volksparteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, sondern auch die Union in sich.
Wie wird die damit fertig? Schon heute ist Horst Seehofer, das unverschämt flackernde CSU-Irrlicht, als Fraktionsvize im Bundestag nicht mehr tragbar. Der harte Weg, zu Ende gedacht, führt nach Kreuth, in die Spaltung von CDU und CSU, die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft in Berlin. Das aber hieße Regierungsunfähigkeit. Die kann auch Stoiber nicht wollen.
Feiges Ausweichmanöver
Also müssen Brücken gebaut werden. Die Bewahrung des alten Beitragsystems, auf eine Grundsicherung reduziert und umstellt von vielen kleinen Kopfprämien für Zähne, Hüftgelenke und anderes, wäre ein feiges Ausweichmanöver. Angela Merkel kann das nicht mitmachen. Stoiber muss beidrehen. Indem er ein elegantes Finanzierungsmodell für die Schonung der Kleinverdiener ausheckt. Oder eine Anleihe bei Joschka Fischer nimmt: Der will Bürgerversicherung und Kopfpauschale versöhnen, durch sozial gestaffelte Prämien ohne Steuerzuschuss. Das aber hieße: Fischer machen und Fischer bekämpfen.
Vielleicht flößt das jenen in CDU und CSU Mut ein, die noch immer einen ganz anderen, schier aussichtslosen Traum träumen: den Sperrigen aus Wolfratshausen Anfang nächsten Jahres zu verbannen - zur Ehrenhaft in Schloss Bellevue.