Zwischenruf Der Medienkrieger

Gerhard Schröder baut die Springer-Presse zum Feindbild auf, doch in Wahrheit bekämpft er unbotmäßigen Journalismus - auch im Falle des stern. Aus stern Nr. 9/2004

In eigener Sache zu schreiben ist riskant. In diesem Fall ist es unumgänglich, um ein böses Spiel durchschaubar zu machen und eine Lüge zu zerstören. Ein abgefeimtes Manöver der Regierung, das die Pressefreiheit und die Mediengesetze berührt. Und eine Lüge, die Repressalien gegen unbotmäßige Journalisten verdecken soll. Beides offenbart, dass der einstige Medienkanzler Gerhard Schröder in höchster Not zum Medienkrieger geworden ist. Zum Chef einer Regierung, die ihre Macht missbraucht, um Journalisten gefügig zu machen, und solche, die Gefolgschaft verweigern, abstraft, indem sie ihre Arbeit behindert. Das ist keine Lappalie, es ist ein Skandal von Gewicht.

Das böse Spiel

Fall eins: das böse Spiel. Mitte vergangener Woche - der Kanzler hat als SPD-Chef resigniert - baut Schröder in seiner Bundestagsfraktion ein Feindbild auf, um die Reihen der Verirrten und Verwirrten zu schließen. Der Springer-Verlag, namentlich die "Bild"-Zeitung, betrieben "Kampagnen-Journalismus gegen die SPD". Er sei nicht bereit hinzunehmen, dass seine Familie hineingezogen werde. Das müsse jeder wissen, "wenn er mit denen redet und sich zum Stichwortgeber macht".

Teilnehmer verstehen das als Boykottaufruf. Der Kanzler habe gemeint, man solle den Springer-Zeitungen "keine Informationen geben und mit denen keine Interviews mehr führen", lässt sich der "Tagesspiegel" von einem Regierungssprecher erläutern, der kein Parteisekretär ist, sondern Beamter des Staates. Die Ministerien müssen Interview-Anfragen fortan bei den Regierungssprechern melden und fertige Interview-Texte an sie faxen.

Der geschraubte Boykottaufruf des Kanzlers ist ein glatter Verstoß gegen die Mediengesetze, die staatliche Instanzen - von Steuergeldern bezahlt - zur Auskunft verpflichten. Die Kontrolle von Interviews ist der Eintritt in ein System gelenkter Gedanken. Wer möchte schon die Puppe fragen, wenn der Puppenspieler spricht?

Das verworfene Manöver des Kanzlers

Der mitleidheischende Verweis auf seine Familie macht das Manöver des Kanzlers vollends verworfen. "Bild am Sonntag" hatte am 8. Februar unter der Überschrift "So erlebt Schröders Ehefrau die Krise" ein sülziges Stück ("beim Abschied schauten sie sich in die Augen") über die süßen Qualen der Doris Schröder-Köpf veröffentlicht. "Aus dem Freundeskreis" wurde da reportiert, die Kanzlergattin sehe "ihre Rolle ähnlich wie Hillary Clinton": "Gerhard Schröder sei nicht nur ihr Mann, er sei auch ihr Kanzler."

Zwei Tage später nimmt "Bild"-Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß das Thema auf ("Wie hält die Kanzlergattin das nur aus?"), instruiert von "BamS"-Autor Einar Koch: "Sie denkt wie Hillary Clinton..." Und wiederum zwei Tage später enthüllt der "Tagesspiegel", Koch habe zweimal mit Doris Schröder-Köpf telefoniert, seinen Artikel "komplett mit ihr per Fax abgestimmt", auf ihren Wunsch als Quelle aber nur den "Freundeskreis" genannt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Aufruf zum Boykott ist ein glatter Verstoß gegen die Mediengesetze

Diesen Hergang, so der "Tagesspiegel" weiter, habe die Kanzlergattin auch bestätigt. Was beweist: a) Springer macht auch PR für den Kanzler; b) Dessen Familie darf durchaus "hineingezogen" werden - wenn sie selbst die Feder führt. "BamS" berichte objektiver, höhnt dazu unfreiwillig der Regierungssprecher. Graf Nayhauß hat selbst geschrieben - zur Strafe wurde er "aus Platzgründen" nicht zur Begleitung einer Kanzlerreise in die USA zugelassen. Wie Rolf Kleine, Chef des Berliner "Bild"-Büros, "aus Platzgründen" nicht zu einer Kanzlerreise in die Türkei.

Es geht um Revanche an störenden Journalisten

Womit wir bei Fall zwei wären: der als Platzfrage geschminkten Lüge. Denn es geht nicht um Springer, es geht um Revanche an besonders störenden Journalisten. Denn auch meinem stern-Kollegen Tilman Gerwien wurde "aus Platzgründen" die Begleitung in die Türkei verweigert - nachdem er mit Schröders Stil abgerechnet hatte ("Spieler am Ende"). Ich selbst wurde "aus Platzgründen" von der Liste für die USA-Reise gestrichen - meine Kolumne trug den Titel "Kanzler von Neverland".

Bunkermentalität: kein Platz für Europas größte Tageszeitung, kein Platz für Europas größtes Magazin. Aber selbst in der Lüge schimmert ja ein Korn Wahrheit: Journalismus, der wehtut, hat bei dieser Regierung keinen Platz mehr. Wie müssen sich nun eigentlich Kollegen klassifiziert fühlen, die beim fliegenden Hofstaat geduldet sind? Übrigens: 1987 sollte eine "Bild"-Journalistin von einem Grünen-Parteitag ausgeschlossen werden. Joschka Fischer und mehr als 70 Kollegen solidarisierten sich mit ihr. Die junge Dame hieß Doris Köpf.

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Hans-Ulrich Jörges