Dass Olaf Scholz ausgerechnet heute von alten Kamellen eingeholt wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Am Mittag hat er Prinzenpaare, Jecken und Närrinnen aus ganz Deutschland zum traditionellen Karnevalsempfang im Berliner Kanzleramt empfangen. Das närrische Treiben steuert in diesen Tagen auf seinen Höhepunkt zu und nimmt auch auf Scholz keine Rücksicht. Ganz im Gegenteil: Der Kanzler wird ausgerechnet in der heißen Phase des kurzen Winterwahlkampfs mit einer alten Frage konfrontiert: Ist er der Richtige?
In der SPD brodelt es, ein Medienbericht sorgt für Unruhe. Sollte sich die Recherche bestätigen, sagt ein SPD-Fraktionsmitglied dem stern, stelle sich die Frage, wem die Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt nütze. "Aus meiner Perspektive schadet das allen Beteiligten." Andere Genossen äußern bereits einen ungeheuerlichen Verdacht.
Parteispitze soll Scholz Verzicht nahegelegt haben – SPD dementiert
Grund für die Aufregung: SPD-Chef Lars Klingbeil soll Scholz wiederholt nahegelegt haben, auf eine erneute Kanzlerkandidatur zu verzichten und sei deshalb im November beim Kanzler vorstellig geworden. Das berichten der "Tagesspiegel" und "T-Online" am Mittwoch unter Berufung auf mehrere Quellen in der SPD sowie das Parteiumfeld.
Der Parteivorsitzende habe damit Bedenken aus der engeren SPD-Führung sowie Landesverbänden zum Ausdruck gebracht, die nach dem Bruch der Ampel-Koalition am 6. November angesichts der schlechten Umfragewerte des Kanzlers intern für eine Kandidatur des populären Verteidigungsministers Boris Pistorius geworben hatten. Scholz habe in den Gesprächen mit SPD-Chef Klingbeil jedoch auf seinen Anspruch beharrt, heißt es in den Berichten.
Im Willy-Brandt-Haus, der Berliner SPD-Zentrale, werden die Berichte deutlich zurückgewiesen. Auf Nachfrage des stern, ob die Berichte über Parteichef Klingbeil zutreffen, dementiert eine SPD-Sprecherin allgemein: "Ich dementiere die Meldung. Die Darstellung ist falsch." Auch Co-Chefin Saskia Esken lässt die "Darstellung" als "falsch" zurückweisen. Unklar bleibt, ob das insgesamt oder nur für Teile der Berichte zutrifft.
Das Comeback der K-Frage platzt in eine sensible Phase des Wahlkampfs, der für Kanzlerkandidat Scholz und seine Partei ausweislich der aktuellen Umfragelage kein gutes Ende nehmen wird. Seit Wochen stagnieren die Werte der SPD zwischen 15 und 18 Prozent, bleiben damit weit hinter denen der Union (28 bis 30 Prozent) zurück.
Selbst der "Tabubruch" im Bundestag vergangene Woche, als Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine Stimmenmehrheit mit der AfD in Kauf nahm, verschafft den Sozialdemokraten offenbar keinen merklichen Wind unter die Schwingen. Für viele Genossen ist das eine bittere, frustrierende Erkenntnis. Es herrscht Katerstimmung.

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"Es wirkt wie ein Manöver", sagt ein Genosse
Viele führen den ausbleibenden Aufschwung auf Olaf Scholz zurück, der beim Wähler auch Monate nach dem Ampel-Aus noch immer extrem unpopulär ist. Unter allen Kanzlerkandidaten bildet Scholz gemeinsam mit AfD-Chefin Alice Weidel Umfragen zufolge das Schlusslicht. Möglicherweise haben die Wähler ihr Urteil über Scholz schon gefällt.
Hat die SPD also doch aufs falsche Pferd gesetzt? Diese Frage flammt nun wieder auf, zu einem Zeitpunkt, wo sich die strauchelnden Sozialdemokraten eigentlich keine Störgeräusche erlauben können.
Während einer Reise von Scholz zum G20-Gipfel in Brasilien im November war die Kandidaten-Debatte in der SPD offen ausgebrochen, mehrere Landes- und Bundespolitiker sprachen sich seinerzeit für Boris Pistorius als vielversprechenderen Frontrunner aus. Die SPD-Spitze versuchte die Debatte vergeblich einzuhegen. Am 21. November nahm sich Pistorius schließlich per Videobotschaft selbst aus dem Spiel.
Nun, keine drei Wochen vor dem Wahltag und einer möglicherweise krachenden Niederlage, gerät auch die SPD-Spitze, die sich hinter Scholz als Kandidaten gestellt hatte, zunehmend unter Druck. Insbesondere Parteichef Lars Klingbeil wurde damals kritisiert, die Kandidaten-Debatte im November zu lange laufen gelassen zu haben. Klingbeil räumte später ein, dass diese "nicht gut gelaufen" sei.
Dass ausgerechnet jetzt, im Schlussspurt eines ohnehin für die SPD schleppend verlaufenden Wahlkampfs, die K-Frage wieder hochkocht, werten mehrere Genossen als vorauseilende Absetzbewegung aus der Parteiführung. Viele vermuten dahinter den Versuch, die mögliche Fehlentscheidung, Scholz als Kandidaten ins Rennen zu schicken, umzudeuten. Ein Sozialdemokrat äußert gegenüber dem stern den Verdacht: "Es wirkt wie ein Manöver von Klingbeil, sich frühzeitig von einer möglichen Wahlniederlage zu distanzieren." Dem gegenüber steht das Dementi aus dem Willy-Brandt-Haus, wonach die Darstellung in den Berichten falsch sei.
So oder so: Misstrauen und Irritationen sind in der SPD groß.
Für die SPD-Führung könnten die Entwicklungen noch brenzlig werden, insbesondere für Parteichef Klingbeil, dem bei einer möglichen Regierungsbildung auch nach einer Ära Scholz eine Schlüsselrolle zukommen könnte. Fahren die Genossen bei der Wahl eine möglicherweise historische Niederlage ein, landen also unter 20,5 Prozent wie 2017, dürfte das Ergebnis auch auf die SPD-Spitze zurückfallen.
Spätestens dann dürfte die Frage wieder aufflammen, ob Beliebtheitsminister Pistorius nicht der vielversprechendere Kandidat gewesen wäre – und die Parteiführung sich gegen eine Scholz-Kandidatur hätte durchsetzen müssen, Loyalität hin oder her, zum Wohle der Partei.
Mit Spannung wird daher auf Donnerstag und Freitag geblickt, dann wird unter anderem ein neuer "Deutschland-Trend" und eine Allensbach-Umfrage erwartet. Am Sonntag tritt Scholz zum ersten Mal im TV-Duell gegen Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz an.