Andrij Melnyk Früherer Ukraine-Botschafter: "Habe Fehler gemacht, aber die Berliner Politik aus ihrer Lethargie geholt"

Andrij Melnyk
Andrij Melnyk: "Mein Gradmesser ist, was am Ende rauskommt"
© Fabian Sommer/ / Picture Alliance
Als früherer Botschafter der Ukraine in Berlin sorgte Andrij Melnyk häufig für Irritationen. Vor dem zweiten Jahrestag der Invasion blickt er zurück, räumt Fehler ein – und macht einen selten gehörten Vorschlag.

Der frühere Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, hat "viele Fehler" während seiner Tätigkeit in Berlin eingeräumt. Er zeigte sich aber stolz, die Berliner Politik nach der russischen Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren "aus ihrer Lethargie" geholt zu haben, wie er dem Berliner "Tagesspiegel" sagte. Der heutige Botschafter in Brasilien schlug auch vor, dass die ukrainischen Verbündeten über "Sondierungsgespräche" mit Moskau vertraulich ausloten sollten, unter welchen Bedingungen Russland beispielsweise bereit wäre, aus den besetzten Gebieten abzuziehen.

Andrij Melnyk: "Wurde oft als Verrückter dargestellt"

Zu seiner Rolle in Berlin sagte Melnyk: "Ich wurde oft als Verrückter dargestellt, der immer etwas Unverschämtes fordert." Doch sei es ihm gelungen, Diskussionen anzustoßen, sagte Melnyk. "Es liegen Welten zwischen der Hilfe, die wir heute erhalten und der zu Kriegsbeginn. Darauf bin ich stolz." 

Melynk war von 2015 bis 2022 ukrainischer Botschafter in Deutschland. In der deutschen Öffentlichkeit wurde er durch seine verbalen Ausfälle unter anderem gegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekannt.

Zu seinen Fehlern sagte Melnyk: "Ich hätte meine Rolle vielleicht ab und zu weniger leidenschaftlich ausfüllen können, um manche Menschen nicht vor den Kopf zu stoßen." Er sei in "einer Art emotionalem Ausnahmezustand" gewesen. "Ich wollte so viele Deutsche wie möglich erreichen, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Aber ich hatte keine Zeit, lange nachzudenken." Dass er Scholz einmal eine "beleidigte Leberwurst" genannt habe, sei "grenzwertig" gewesen, räumte er ein. 

"Dafür werden die Ukrainer für immer dankbar sein"

"Mein Gradmesser ist, was am Ende rauskommt", fügte Melnyk hinzu. "Wer weiß, wie die Unterstützung Deutschlands heute ohne mein undiplomatisches Auftreten aussehen würde." Fakt sei aber, dass die Deutschen heute die zweitgrößten Unterstützer der Ukraine seien. "Dafür werden die Ukrainer ihnen für immer dankbar sein."

Auf die Frage nach möglichen Verhandlungen sagte Melnyk: "Nach meiner persönlichen Überzeugung wäre es zumindest klug, wenn unsere Verbündeten diskret in Moskau ausloten könnten, ob echte Kompromissbereitschaft besteht." Sondierungsgespräche zu führen, heiße ja nicht, dass man seine Interessen aufgebe.

"Es geht nicht um faule Kompromisse oder darum, auf der Weltbühne eine falsche Ruhe wiederherzustellen, sondern darum, nichts unversucht zu lassen", sagte Melnyk. "Die Russen haben alles getan, um Vertrauen zu zerstören. Aus Sicht der Ukraine ist es unmöglich, einen Deal zu schmieden." Dennoch sollten Partner ihre Diplomatie einsetzen. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Melnyk-Nachfolger: "Benötigen mehr Material"

Auch Melnyks Nachfolger Oleksij Makeiev hat zum zweiten Jahrestag des Kriegsbeginn die deutsche Unterstützung gewürdigt. "Wenn man sich ansieht, was in den letzten zwölf bis 16 Monaten von Deutschland an die Ukraine geliefert wurde, ist das erheblich. Deutschland wurde zum zweitwichtigsten Unterstützer meines Landes", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Auch reagierten die deutschen Partner meist unverzüglich auf Anfragen.

Um das weitere Vorrücken der russischen Truppen zu stoppen, werde jetzt allerdings noch mehr Material benötigt. "Jeder Rückzug der ukrainischen Soldaten aus einer ukrainischen Stadt bedeutet, dass russische Truppen näher an die Nato herangerückt sind. Um sie zu stoppen, benötigt die Ukraine dringend Munition und Flugabwehr", sagte Makeiev der Zeitung.

DPA · AFP
nik