Zwischenruf Klassenkampf im Parlament

Der Bundestag - eine einzige Versammlung von Geschäftemachern? Die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte unserer Abgeordneten widerlegt das populäre Vorurteil. Wenige Großverdiener verderben das Bild stern Nr. 29/2007

Der Bundestag ist eine Klassengesellschaft. Mit eigener Schichtung. Aufgedeckt wurde sie jetzt durch die Offenlegung der Nebeneinkünfte der 613 Abgeordneten. Da gibt es zunächst das ... na ja, Proletariat wollen wir es nicht nennen ... sagen wir: das Parlamentariat. Das sind sozusagen die Tariflohnempfänger des Bundestags - all jene, die im Wesentlichen von 7009 Euro im Monat leben, den zu versteuernden Diäten. Viel bleibt da nicht, eher zu wenig. Und es kommt auch nichts oder nicht viel dazu. Nebeneinkünfte, sofern überhaupt vorhanden, liegen unter 1000 Euro im Monat oder 10 000 Euro im Jahr und müssen deshalb gar nicht erst publiziert werden. Dazu kommt die steuerfreie Kostenpauschale von 3720 Euro, aber die ist für anderes gedacht, nicht zum Leben. Versüßt wird die Existenz der parlamentarischen Unterschicht eigentlich nur von der Aussicht auf eine überaus komfortable Altersversorgung. Im Alter endlich erhebt sich das Parlamentariat mächtig über das an diesem Punkt zu Recht neidische Proletariat. Es folgt die untere Mittelschicht. Der gehören jene an, die einmalige oder regelmäßige monatliche Nebeneinkünfte von 1000 bis 3500 Euro brutto ausweisen. Darüber die Mittelschicht: Nebeneinküfte bis 7000 Euro. Und schließlich die Oberschicht: Nebeneinkünfte über 7000 Euro.

Wie in jeder Klassengesellschaft geht es auch in der parlamentarischen höchst ungerecht zu. Werden die Einkünfte in der Unterund Mittelschicht durch die Stufen der Veröffentlichungspflicht relativ präzise erfasst, öffnen sich der Oberschicht Tür und Tor zur Verschleierung. Pauschal über 7000 Euro dürfen sie, etwa bei Aufsichtsratsmandaten, auch fürs ganze Jahr ausweisen. Im einen Fall kann das 7200 Euro bedeuten, im anderen dagegen 720 000. Beispiele dafür sind Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der im Aufsichtsrat der Ruhrkohle sitzt und im Jahr einmalig 7000 Euro überschreitet, und sein Fraktionskollege Friedrich Merz, der zehn Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiratssitze ausweist und achtmal 7000 Euro überschreitet - macht mindestens 56 000 Euro pro Jahr. Vermutlich sehr viel mehr.

Zur Klassengesellschaft gehört Klassenkampf. Im Bundestag wird der von oben geführt, zuletzt vor dem Bundesverfassungsgericht. Friedrich Merz ging selbst diese privilegierte Form der Einkommensverschleierung zu weit, er wollte gar nichts offenlegen. Das Gericht wies die Klage indes mit einem Patt von vier zu vier Richterstimmen ab, und die eine Hälfte des Senats schrieb Standards für die Abgeordneten auf, die gar nicht genug zitiert werden können. Danach ist das Mandat ein Beruf, es steht "im Mittelpunkt der Tätigkeit" des Abgeordneten, verlangt "den vollen Einsatz der Arbeitskraft", "den ganzen Menschen". Deshalb auch Vollzeit-Diäten und Vollzeit-Altersversorgung. "Die Annahme, ein freiberuflich oder unternehmerisch tätiger Abgeordneter entspreche in besonderer, geradezu prägender Weise dem verfassungsrechtlichen Leitbild des unabhängigen, nur seinem Gewissen unterworfenen Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), ist ohne tragfähige Grundlage." Bravo!

Entsprechen die Abgeordneten dem Leitbild des Gerichts? Ich habe die Veröffentlichungen aller 613 Parlamentarier studiert, grob klassifiziert, Stand 2007 - und überrascht festgestellt: Ja, sie tun es. Und wie! Runde 80 Prozent gehören dem Parlamentariat an, haben also keine Nebeneinkünfte oder unterhalb der Meldepflicht. Bei der CDU/CSU gute 70 Prozent, bei der SPD runde 80, bei der Linken knapp 90 und bei den Grünen fast 100. Selbst die Besserverdiener-Partei FDP zählt zu drei Vierteln keine Besserverdiener. Lässt man Amtsträger beiseite - etwa Kanzlerin, Minister und Parlamentarische Staatssekretäre, die neben den Diäten Gehälter beziehen -, stellt die Oberschicht (mehr als 7.000 Euro) nur gut acht Prozent aller Abgeordneten; bei der FDP etwa 15 Prozent, bei der Union zehn, bei der SPD gut sechs, bei der Linken über fünf und bei den Grünen 0,0 Prozent.

Das Mandat verlangt den vollen Einsatz der Arbeitskraft - Rund 80 Prozent der Abgeordneten haben keine Nebeneinkünfte oder unterhalb der Meldepflicht

Die untere Mittelschicht (1.000 bis 3.500 Euro) kommt auf vier Prozent der Abgeordneten, die Mittelschicht (bis 7000 Euro) auf zwei. Mit anderen Worten: Die überwältigende Mehrheit der Volksvertreter konzentriert sich auf das Mandat, lebt davon und engagiert sich daneben ehrenamtlich. Der Bundestag ist kein Parlament der Geschäftemacher. In diesen Ruf hat ihn die Klage der Ausreißer gebracht. Aber Friedrich Merz will ja 2009 nicht mehr kandidieren - und andere mag der Wähler ins pralle Geschäftsleben entlassen. Das Parlamentariat indes sollte dringend die Veröffentlichungspflicht ändern, sodass über 7.000 Euro präzise ausgewiesen werden muss. Und exorbitante Nebeneinkünfte mit den Diäten verrechnet werden. Klassenkampf von unten!

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Hans-Ulrich Jörges