Zwischenruf Klinsmann & Klinsfrau

Bundestrainer und Kanzlerin haben einiges gemein - und Angela Merkel möchte auch so sein wie er. Aber das kann sie nicht. Aus stern Nr. 29/2006

Er kommt aus dem System, und er sprengt das System. Der DFB hat ihn zum Bundestrainer berufen, und doch fordert Jürgen Klinsmann den Deutschen Fußball-Bund heraus. Ganz so, wie Michail Gorbatschow vom sowjetischen System geschaffen wurde und es dann überwand. Der kleine Gorbatschow des Fußballs hatte und hat mächtige Gegner: das Drei-B-Kartell aus "Bild", Beckenbauer und Bayern München. Mit der frühen Ausschaltung von Olli Kahn hat er sich von ihm befreit. Das vergessen sie ihm nie, auch wenn sie nun gute Miene zu seinem Spiel machen. Sein Spiel, das neue, ist Begeisterung, mitreißende Offensive, rauschhafte Lust. Seit wann ist das deutsch?, staunte die Nation. "Das alles können deutsche Fußballer! Wenn sie richtig geführt werden und richtig trainieren", beharrte Klinsmann. Er ist der Sieger der WM.

Auch sie kommt aus dem System und hat es zu sprengen versucht. Die CDU machte sie zur Vorsitzenden, und doch forderte Angela Merkel die Union heraus. Auch sie hatte mächtige Gegner: das KSK-Kartell aus Kohl, Stoiber und Koch. Mit der Ausschaltung von Friedrich Merz hat sie sich eine Weile befreit. Das vergessen sie ihr nie, auch wenn sie gute Miene zu ihrem Kurs machen. Ihr Kurs, der neue, das war Modernisierung, Wagemut, analytisch-kühler Blick auf Probleme, Bruch mit der Tradition aus Männerbündelei, Famillje und Ausländerphobie. Mit Deutschland geht's bergab, glaubte die (ver-)zweifelnde Nation. Die Deutschen können mehr, wenn sie richtig regiert werden und an sich glauben, setzte sie dagegen. Aber sie ist keine Siegerin.

Denn Angela Merkel ist nicht die Klinsfrau der deutschen Politik. Auch wenn sie manches mit dem K-Mann teilt: Beide kamen "von draußen", er aus den USA, sie aus der DDR, beide haben das Neue eingeschleppt, weil sie das Alte klarer sahen und nicht selbst Teil davon waren. Auch wenn sie ihn und seine Wirkung bewundert: Auf den Tribünen der WM-Stadien hat sie mit ihm gestöhnt und gejubelt, hat sich mitreißen lassen von der Euphorie, die das ganze Land packte. Auch wenn sie gern Klinsfrau wäre und ihre Rolle in der Politik selbst so sieht.

Aber sie will es nicht gleich sein, nicht alles auf eine Karte setzen, so wie er, nicht stürmisch, sondern kontrolliert. In Klinsmanns Lage vor dem USA-Testspiel wollte sie nicht geraten. Irgendwann mal, in der historischen Bilanz sollen die Deutschen sie als Klinsfrau sehen. Damit wird sie es nie. Während der WM, die ihn zum Winner machte, wurde sie zur Loserin. Als er sich durchsetzte, das Volk gewann und seine Gegner in die Lüge knirschender Bewunderung zwang, gab sie klein bei in der Gesundheitsreform und verlor das Volk. Jetzt ist das Kartell wieder da. Jetzt ist sie in Klinsmanns Lage nach dem Italien-Testspiel.

Der Unterschied zwischen triumphierendem Klinsmann und gescheiterter Klinsfrau ist auf einen einzigen Begriff zu bringen: Führung. Klinsmann hat eine Idee, kompromisslosen Offensivfußball, bekennt sich zu ihm, widersteht Kampagnen ("Grinsi-Klinsi"), setzt seine Existenz ein, taktiert nicht und kommuniziert offen, was er will. Das hat den deutschen Fußball atemberaubend verändert. Jedenfalls den, den die Nationalmannschaft spielt. Ob die Bundesliga folgt, ist einstweilen offen, aber sie wird Probleme haben, sich dem Sturm zu widersetzen. Der Erfolg, sagt Klinsmann, sei das "entscheidende Gütesiegel" seiner Idee. Nun müsse "ein gewaltiger Ruck durch Fußballdeutschland gehen", durch DFB und Liga. Das kann gelingen.

Der Unterschied zwischen triumphierendem Klinsmann und gescheiterter Klinsfrau ist auf einen einzigen Begriff zu bringen: Führung

Merkel hatte einen Plan, vielleicht sogar eine Idee: die Abkoppelung der Sozialsysteme vom Lohn, die Umstellung auf Steuern, weil das gerechter ist und sich niemand entziehen kann. Wenn sie das Gesundheitssystem ganz neu erfinden könnte, würde sie es komplett aus Steuern finanzieren. Aber das sagt sie nicht, jedenfalls nicht öffentlich, sie bekennt sich nicht dazu, setzt dafür nicht ihre ganze Existenz ein, begeistert weder ihre Verbündeten noch das Volk und beugt sich am Ende ihren Gegnern, den Landesfürsten der Union, die 2008 Wahlen haben und deshalb Steuererhöhungen fürchten. Sie unterwirft sich so weit, dass sie ihren Plan - acht Milliarden Steuern ins Gesundheitssystem noch in dieser Legislaturperiode - aufgibt und die Idee verrät. Die gehört nun plötzlich, in der Wahrnehmung des Publikums, den Sozialdemokraten. Die erste symbolhafte Operation der Kanzlerschaft ist misslungen. Das Merkel-Bild wackelt.

Stellt man sich Klinsmann und Merkel beim Roulett vor, dann riskiert er alles - und setzt auf die Elf. Sie gibt den Croupier und verteilt die Jetons an die Gewinner - setzt aber selbst nichts. Weil sie nichts riskieren möchte und die Bank immer gewinnen soll. Klinsmann schuf für sich selbst Erfolgsdruck: Eine Niederlage im Viertelfinale nannte er vorher "eine Katastrophe". Damit hat er gewonnen. Sie hat sich nie auf ein Ziel für niedrigere Kassenbeiträge festgelegt. Dadurch hat sie verloren. Nicht eine Klinsfrau, eine Croupière regiert das Land.

print
Hans-Ulrich Jörges