Zwischenruf Wer ruft Stoiber?

Der CSU-Vorsitzende als Bundespräsident: ein spannendes, ja historisches Projekt. Aber das Amt müsste ihm angetragen werden - ohne taktische Mätzchen. Aus stern Nr. 3/2004

Wäre Edmund Stoiber ein guter Bundespräsident? Die Frage klingt deplatziert, aus der Zeit gefallen, überholt vom Gang der Debatte. Sagt er doch selbst immer wieder und gerade in diesen Tagen, er stehe "definitiv" nicht zur Verfügung, denke nicht daran, sich aus der gestaltenden Politik zu verabschieden. Schäuble, ja, Wolfgang Schäuble, das wäre ein ganz hervorragender Kandidat. Aber was, bitte, sollte Edmund Stoiber auch antworten, wenn er so gefragt wird? Vor offenen Mikrofonen von Rudeln lauernder Reporter? Man bewirbt sich nicht fürs höchste Amt im Staate.

Wer das täte, würde hingehängt und abgebürstet wie ein staubiger Mantel. Gerade er, der Bayer mit dem schier einbetoniert schiefen Image des Zuspitzers, des Spalters, des freudlosen Ehrgeizlings. Einer wie er, in lebenslanger Schlacht gebrannt, verwundet und von Narben gezeichnet, kann nur gerufen werden. Ohne taktische Mätzchen, mit Emphase, in heiliger Würde. Von Leuten, die ihm die Selbstzweifel wie die Zweifel an ihren eigenen Motiven nehmen, ihm ins Auge blicken können, wenn sie beteuern, sie wollten ihn nicht (nur) aus Eigennutz beiseite schieben, als Rivalen kaltstellen. Mit anderen Worten: die an das Projekt Stoiber glauben und es ihm wie dem Publikum plausibel machen.

Die endgültige Versöhnung der CSU mit diesem Staat

Entweder Angela Merkel und andere, denen er mehr vertraut, bringen diese Größe auf. Oder es bleibt dabei, wie es nun steht: eine kurzlebig schillernde, verwegene Idee - und eine verschenkte historische Chance. Historisch? Aber ja. Denn der erste Bundespräsident aus den Reihen der CSU wäre weit mehr als nur die Korrektur parteilicher Beutestatistik. Oder die Krönung einer politischen Biografie. Es wäre die endgültige Versöhnung der CSU mit diesem Staat, der symbolkräftige Ausweis ihrer Verantwortung nicht nur für Bayern, sondern für das ganze, das wiedervereinigte Deutschland - und die Überwindung ihrer eigenen, überaus zwiespältigen Parteigeschichte.

Jener Geschichte, die mit der Ablehnung des Grundgesetzes begann, in der "Spiegel"-Affäre des jungen Fast-Putschisten Franz Josef Strauß ihren gefährlichsten Irrweg nahm und mit den mafiosen Amigo-Geschäften dieses Grenzgängers zwischen Trieb und Pflicht zur Jahre nachwirkenden Erblast wurde. Stoiber, der Strauß ergeben diente, aber unbestechlich blieb, hat viel getan, um dessen unseliges System abzuwickeln. Als Staatsoberhaupt würde er ihn auch historisch in den Schatten stellen.

Zwangsneurosen bayerischen Minderwertigkeitsgefühls

Rückblickend betrachtet erscheint seine Kanzlerkandidatur wie eine Etappe auf diesem Weg. Sie hat ihn dauerhaft verändert, frei gemacht von den alten Prägungen, den Zwangsneurosen auftrumpfenden bayerischen Minderwertigkeitsgefühls. Der stammelnde Eiferer auf dem heißen Stuhl von Sabine Christiansen, dessen wirre Sätze über offenem Abgrund zerbrachen, wurde zum gelassen und stringent argumentierenden Redner. Der leidenschaftliche Spalter wuchs zum überzeugten Integrator - zunächst der Union, später der Nation. Wer die Spuren Stoibers in den Debatten der vergangenen Monate freilegt, der entdeckt reichlich Material für die These, dass er zielgerichtet daran gearbeitet haben könnte, seine Qualifikation für das Präsidentenamt so augenfällig nachzuweisen, dass es das Publikum auch ganz allein merken muss.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wer sich selbst bewirbt, wird abgebürstet wie ein staubiger Mantel

Als die CDU sich die Kopfpauschale in der Krankenversicherung zu Eigen machte, war er es, der die soziale Karte spielte, für die kleinen Leute sprach. Als der CDU-Stahlhelm Hohmann die Juden stigmatisierte, machte er den Parteiausschluss unabwendbar, indem er urteilte, der Mann stehe außerhalb des Verfassungsbogens. Als die Steuerreform auf des Messers Schneide stand, gab er den Ausschlag, weil er unbeirrbar dafür stand. Seither spricht der Kanzler in höchsten Tönen von dem einstigen Widersacher. Edmund Stoiber ist kein Flügelstürmer mehr, er ist Mann des Ausgleichs, der Vernunft und der Mitte.

Abwägend klug und dennoch drängend für Reformen einzutreten, das könnte seine Rolle als Bundespräsident sein. Dass er in offener Kutsche neben der englischen Königin nicht annähernd so nobel daherrollt wie Richard von Weizsäcker, dass er nicht so hinreißend Anekdoten erzählt und Hände schüttelt wie Johannes Rau - wen sollte das stören? Edmund Stoiber könnte die Grenzen eines politischen Präsidenten testen: Mahner und Antreiber der Politik. Und am Ende seinen persönlichen Triumph genießen: wenn er Gerhard Schröder nach verlorener Wahl 2006 die Entlassungsurkunde überreicht.

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Hans-Ulrich Jörges