Am Ende reißt einem dann doch immer Sinatra die Hosen runter. Oder kennen Sie jemanden, dessen Lieblingslied "My Way" ist, der (Gendern nicht nötig) nicht vollkommen frei von Selbstzweifeln ist? Unvergessen der Moment, als Bundeskanzler Gerhard Schröder sich zum Zapfenstreich diesen musikalischen Moment bescherte, diese selbst verordnete Absolution.
Gerhard Schröder: Bölken, Bier und Basta
Damals, 2005, als wir annehmen durften, das mit der Agenda und dem Angriffskrieg auf den Sozialstaat sei der ultimative Sündenfall des Gerhard S. aus H. "Regrets, I've had a few, but then again too few to mention, I did what I had to do, I saw it through without exemption": Zeilen, die dem Umfeld stets eine Warnung sein müssten. Hier ist niemand, der große Lust hat, sich allzu kritisch mit dem eigenen Dasein auseinanderzusetzen. Schröder, das war für Erstwähler 1998 vor allem: Aufbruch. Lässigkeit. Widerstand. Die Beendigung der breitärschigen Strickjackenrepublik des ewig beleidigten Bimbesfelsens Helmut Kohl. 1998, das war Guildo Horn, Stefan Raab, Mario Basler und eben dieser neue Typ Regierungschef, der auch mal nach einer Flasche Bier verlangte, bevor das Autogrammembargo greift. Bölken, Bier und Basta.
Ausgestattet mit dem sozialdemokratischstem aller sozialdemokratischen Distinktionsmerkmale, der Fußballervita grätschte "der Gerd" sich bis ins Bundeskanzleramt. Lange Zeit war es hochamüsant, diesem Mann beim Wirken zuzusehen. Dem BildBamSundGlotze-Kanzler, dessen Kampf gegen die Tofu-Attacken von Hillu doch auch irgendwie der unsere war. Das neue Jahrtausend brach gerade an und mit dem Millennium auch die große Sorge davor, es könne zu schnell zu vieles über uns hereinbrechen. Die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland werden auch auf dem Schnitzelteller verteidigt. Doch da war eben dieser "Acker", so sein Spitzname beim TuS Talle. Früh geschult auf den Ascheplätzen der Nachkriegsrepublik, lief er immer dann zur Höchstform auf, wenn es darum ging, sich als Individuum einem übermächtigen Feind entgegenzustellen.
Nachdem mit Kohl das alte Deutschland erledigt war, sollte Edmund Stoiber folgen. Dieser rhetorische Stolpervogel, der sich kurz davor glaubte, schon "ein Glas Champagner öffnen" zu können. Als ginge es darum, in der letzten Sekunde vor dem Abpfiff zu verhindern, dass die Bayern die gesamtdeutsche Meisterschaft feiern können, konnte Gerd mit der Gummistiefelspitze dem Mitbewerber aus der Union den Titel noch weggrätschen. Schröders Momentum war immer die Verweigerung.
Komische, rührende Momente
Schröder gegen Kohl. Schröder gegen Lafontaine. Schröder gegen Stoiber. Schröder gegen George W. Bush. Schröder gegen die Sozialdemokraten. Und in der Folge Schröder gegen Merkel, die "den Gerd" mit ihrer immobilen Art ins Leere grätschen ließ – und irgendwie rutscht er noch heute über den Spielfeldrand hinaus ins Aus. Dabei hatte das neue Dasein des Altkanzlers mitunter sogar komische, rührende Momente.
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Wie er sich für seine fünfte Ehefrau Soeyung zum meisenknödelndem Insta-Hubbie gemacht hat, da musste einem doch das Herz aufgehen. He did it her way. Rilke zitieren, Hagebutten schleppen, mit diesen porreestangengleichen Armen oberkörperfrei in Daunenwesten an der Pilzpfanne ackern, als wäre der Ötzi aus dem ewigen Eis gestiegen, nur, um bei Insta live zu gehen. Je mehr im Internet gefeixt wurde, desto mehr konnten sie alle kacken gehen. Da war er dann wieder ganz er selbst. Schröder gegen die die Social-Demokraten.
Kreuzweise konnten sie ihn alle. Als sei das Leben eine nie enden wollende Strafraumszene. Je lauter, je zahlenmäßig größer die gegnerische Wand wurde, desto sicherer verwandelte er. Ein Herz wie ein Ascheplatz. Jemand, der eine ungewöhnlich große Liebe zu sich selbst entwickelt, neigt dazu, nur diejenigen neben sich zu dulden, die ihm ähnlich sind. So mokierte man sich gern über die ominöse Gang, die sich regelmäßig traf im Partykeller von Carsten Maschmeyer. Schneeball-Zar Maschi, der ja eine ganz ähnliche Aufsteigergeschichte zu erzählen hat wie der Altkanzler und als perfekte Einstiegsdroge für Autokraten-Amore gelten darf.
Schröder hätte alles sein können
Es ist die eigene Vita, die den sonst so hartleibigen Basta-Gerd weich werden lässt. Und so wurde schlussendlich der vermutlich schlimmste Tyrann des Planeten zum Romeo des anerkennungsfreudigen Cohiba-Kanzlers, der im Kriegsverbrecher zuvorderst nur den Freund sieht, der ihm im Lebensweg so ähnelt. Dass er längst zu dessen Filialleiter in Deutschland verkommen ist, wird vom Renitentner geflissentlich ausgeblendet. Schröder hätte alles sein können. Der geschätzte Welterklärer, der Giovanni di Lorenzo das Büro vollqualmt. Ein hochbezahlter Vortragsredner. "Welt"-Herausgeber. Stattdessen hat er sich eingegraben und verweigert sich dem wütenden Ruf der Massen, doch endlich aus dem Russendispo rauszukommen. So wie er immer dann die Carbonschicht aufgelegt hatte, je heftiger die Attacken wurden. Night of the Gazproms.
Und nun sitzt er da in seiner Wohnung in Hannover in seinem Sessel. So einsam wie Pablo Escobar in "Narcos" auf der Hollywoodschaukel. Hinter ihm ein gewaltiges Porträt von dem Mann, an dem er nicht vorbei kam. Schröder gegen Schröder. Send in the Clowns.