Liebe Leserin, lieber Leser,
Amerikas Gründerväter (ja, es waren damals ausschließlich Männer, noch so ein Problem) konnten sich auf vieles nicht einigen. Aber in einem Ziel waren sie sich sehr einig: Sie mochten keinem König dienen. Sie wollten ja eine Gesellschaft der Gleichen, in denen das "pursuit of happiness" ein demokratisches Grundrecht ist, das individuelle Streben nach Glück, ganz egal, ob man zufällig in einer Adelsstube zur Welt kam oder nicht. Doch dann geschah etwas Paradoxes: Die Gründerväter schufen ein Präsidentenamt mit fast königlichen Befugnissen. Sicher, die präsidiale Macht wurde kontrolliert, auch zeitlich begrenzt. Doch vieles durfte der Präsident einfach entscheiden – wohl auch, weil der erste Amtsinhaber, George Washington, so verlässlich demokratisch wirkte.
Diese königsgleiche Machtfülle hat sich erhalten, über Jahrhunderte. Amerikanische Präsidenten waren mal schlauer, mal dümmer, sie begingen kleinere oder gewaltige Fehler bis Verbrechen. Aber sie hatten zweierlei gemein: Sie zweifelten nie den demokratischen Machtübergang an. Und sie wurden nie vor einem Strafgericht angeklagt.
Donald Trump kann die Schwächen der Menschen erschnüffeln
Mit beidem hat Donald J. Trump, 45. Präsident der USA, nun endgültig gebrochen. Das Schlimmste daran ist: Es fällt kaum noch jemandem auf, so vieles hat er schon zerstört. Manche sagen gar, die Anklage wegen falsch verbuchter Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar sei läppisch, verglichen mit anderen Trump’schen Vergehen. Das stimmt, ist aber trotzdem kein Argument. Es geht um ein größeres Prinzip, das für Amerika stets heilig war: Niemand steht über dem Gesetz. Trump, der sein ganzes Erwachsenenleben lang an der Schwelle zum Knast balancierte, sieht natürlich auch das anders. Wie könne man einen so erfolgreichen Präsidenten wie ihn verklagen, tobt er. Er nennt den anklagenden Staatsanwalt – der Afroamerikaner ist – ein "Tier" und posiert in den sozialen Medien neben einem Foto des Mannes drohend mit einem Baseballschläger. Trumps Helferlein aus der Republikanischen Partei, die seinen Zorn fürchten und mehr noch den seiner Jünger, soufflieren beflissen, eine solche Anklage sei "unamerikanisch".
Es ist unfassbar, auch für mich ganz persönlich. Ich bin in Amerika zur Schule gegangen, ich habe dort studiert, viele Jahre gelebt, geliebt, gearbeitet. Mich hat die Komplexität des Landes immer fasziniert – der Umstand, dass dort die genialsten Seiten der Menschheit zu besichtigen sind, aber zugleich die dumpfsten. Doch der Albtraum namens Trump bringt mich an meine Verständnisgrenzen. Wann erwachen wir aus diesem Albtraum? Die bittere Erkenntnis: vielleicht niemals. Mark Leibovich, einer der klügsten Beobachter der US-Politik, schreibt in seinem neuen Buch, Trumps große Stärke sei, intuitiv die Schwäche bei Menschen zu erschnüffeln, auch in den großen US-Parteien. Diese Schwäche wird leider nicht vergehen, selbst wenn Trump zu geschwächt ist, um es selbst noch einmal ins Weiße Haus zu schaffen.
Viele Deutsche nervt das Gezanke in der Ampel-Koalition. Aber verglichen mit der oben beschriebenen Situation sollten wir heilfroh sein, solche Probleme zu haben. 30 Stunden lang saßen SPD, Grüne und FDP gerade im Koalitionsausschuss beisammen. Da fragt man sich als Bürger: Ist das nicht ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz? Für unsere Umfrage der Woche wollten wir von den Deutschen wissen, ob sie für ein Verbot solcher (ohnehin eher der Show dienenden) Ewig-Sitzungen seien. Fast die Hälfte ist dafür, bei den Grünen-Anhängern sogar eine Mehrheit. Vielleicht spiegelt dies wider, dass sie mit dem Ergebnis der jüngsten Verhandlung und ihrem Stand in der Koalition gerade besonders unzufrieden sind.
Herzlich Ihr,
Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur