"Sonderkommando" Zeugen des Todes

Die Häftlinge des "Sonderkommandos" in Auschwitz hatten die furchtbarste Aufgabe im KZ. Sie mussten anderen Häftlingen Hab und Gut abnehmen und nach der Vergasung die Leichen verbrennen. Die meisten wurden später auch ermordet.

Henryk Mandelbaum sieht jeden Abend vor dem Einschlafen die gleichen Bilder: schreiende Menschen, Gaskammern, Berge nackter Leichen und Öfen, in denen die Leichen verbrannt werden. Mandelbaum ist einer von etwa 2100 ehemaligen Häftlingen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, die dem so genannten Sonderkommando angehörten. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe hatten die wohl furchtbarsten Aufgaben im KZ: Sie mussten die vielen tausend Leichen in die Verbrennungsöfen schieben, mussten den anderen Häftlingen auf dem Weg in die Gaskammern ihr Hab und Gut abnehmen, mussten die Gaskammern vom Kot, Urin und Blut der Ermordeten reinigen. Die Nazis machten sie zu Zeugen des Todes.

Zwangsarbeit zwischen Gaskammer und Krematorium

Nur etwa 80 Sonderkommando-Häftlinge überlebten dieses Grauen. Die meisten wurden erschossen, weil sie die Wahrheit kannten. Mandelbaum ist einer von den etwa 20, die heute noch leben und darüber reden können. Die meisten haben aus Scham oder Schuldgefühlen nicht einmal ihren engsten Familienangehörigen von ihrer Zwangsarbeit zwischen Gaskammer und Krematorium erzählt. In den Ruinen der Krematorien von Auschwitz beschreibt er, wie sie die Toten aus den Gaskammern verbrennen mussten, wie sie anschließend größere Knochenteile zerstampfen und die Asche in einen nahe gelegenen Teich kippen mussten. Teilweise wurde die menschliche Asche sogar als Dünger oder zum Straßenbau verwendet.

Denn auch das war Teil des Massenmordes: Die Opfer wurden bis aufs Letzte ausgebeutet. Nachdem man sie in den Gaskammern umgebracht hatte, mussten Häftlinge wie Mandelbaum ihnen auch noch die Goldzähne herausbrechen und die Haare abschneiden. Reichte die Kapazität der Öfen nicht aus, mussten sie Gruben ausheben, darin einen Scheiterhaufen aufschütten und die Leichen ins Feuer kippen. "Die Nazis verbrannten sogar einige Kinder und alte Leute bei lebendigem Leib", erinnert sich ein anderer Ex-Häftling.

Weil die übrigen Häftlinge nicht die Wahrheit erfahren sollten - offiziell hieß es, Auschwitz-Birkenau sei ein Familien- und Arbeitslager -, wurden die Angehörigen des Sonderkommandos isoliert. "Wir lebten alle wie auf dem Mond", erzählt ein Überlebender. Wenn Häftlinge auf dem Weg in die Gaskammer fragten, was mit ihnen geschehen würde, war das für Mandelbaum und seine Kameraden besonders schlimm. Lügen wollten sie nicht, die Wahrheit sagen auch nicht, um Panik zu vermeiden.

"Das kann man nicht vergessen"

Während der 15 bis 20 Minuten, die die Häftlinge in den Gaskammern mit dem Tod rangen, hörten die Angehörigen des Sonderkommandos draußen ihre Schreie. "Das kann man nicht vergessen", sagt einer von Mandelbaums Mithäftlingen, "wir konnten nur überleben wegen des Gefühls, unschuldig zu sein, wir wurden ja dazu gezwungen." Einmal begehrten sie auf, gingen mit Spitzhacken auf ihre Bewacher los.

Doch der Widerstand wurde schnell niedergeschlagen, fast alle Beteiligten wurden erschossen. Mandelbaum überlebte per Zufall. Nach dem Krieg wurden einige Angehörige des Sonderkommandos mit dem Vorwurf konfrontiert, sie hätten sich mitschuldig gemacht. Auch deshalb sprachen die meisten nie darüber - bis das deutsche Fernsehen kam. Ein Protagonist sagte nach dem Interview: "Es ist schon Ironie des Schicksals, dass ich gerade einem Deutschen das erzähle, was ich meinem eigenen Sohn bis heute nicht erzählen konnte. Aber das ist gut, sehr gut. Komm, lass uns einen Tee trinken."

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Nicola Prietze/DPA