"Am Tag der Machtübernahme sind wir in Barop gleich zu einer Demonstration auf die Straße marschiert - und die Polizei hat draufgeschlagen und die ersten Kommunisten verhaftet", erinnert sich der 88 Jahre alte Heinz Junge. Am 30. Januar 1933 war der Dortmunder 18 Jahre alt, Gärtnereigehilfe und kommunistischer Jugendfunktionär. Wenig später stürmten SA-Horden durch das Dortmunder Arbeiterviertel Barop. "Anfangs konnte man noch mit denen diskutieren, weil das häufig Nachbarn waren", sagt Junge. Später seien dann die SA-Kolonnen aus anderen Städten angereist, die keine Skrupel kannten.
"Das nationalsozialistische Regime hat von Anfang an auf Terror gesetzt", sagt der Historiker Michael Zimmermann, Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. "Denn sie hatten keine eigene Mehrheit in den Stadträten." Bei den Kommunalwahlen im März 1933 erreichten sie zwar auch im Ruhrgebiet Ergebnisse zwischen 30,9 Prozent in Castrop- Rauxel und 45 Prozent in Mülheim, aber in keiner Stadt die absolute Mehrheit. "Die wurde dann mit Gewalt hergestellt: Die kommunistischen Ratsherren konnten eh nicht mehr zu den Sitzungen erscheinen und die Sozialdemokraten wurden aus den Ratsversammlungen rausgeprügelt", berichtet Zimmermann.
Mehrmals festgenommen und zusammengeschlagen
Auch Junge wird mehrmals festgenommen und in der Polizeiwache am Steinplatz vor den Augen seiner Kameraden zusammengeschlagen. "Man warf mir Flugblattverteilung vor, konnte mir aber nichts nachweisen", erzählt Junge. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wurde die SA zur Hilfspolizei erklärt und bewaffnet. "Ab da wurde die SA richtig brutal, sie holten Kommunisten und Sozialdemokraten aus dem Viertel ab und folterten sie an abgelegenen Plätzen oder auf der Polizeiwache", berichtet Junge.
"Es ist über das Jahr 1933 eine Entwicklung von unkontrolliertem Terror der SA hin zu systematischen Säuberungen der SA in den Arbeitervierteln festzustellen", sagt Zimmermann. Gleichzeitig wurden die Schaltstellen in den Städten mit NSDAP-Parteigenossen besetzt. Infolge des im April erlassenen "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" mussten Angehörige der republikanischen Parteien ihre Ämter räumen: Allein in der Rheinprovinz waren dies vier der fünf Regierungspräsidenten, neun von zehn Polizeipräsidenten, 23 der 42 Landräte und 13 von 17 Oberbürgermeistern. "Das gleiche setzte sich in den Vereinen fort: Bis hin zum Bienenzuchtverein wurden nach und nach überall Vorsitzende mit NSDAP-Parteibuch eingesetzt", sagt der Bochumer Historiker.
"Gleichzeitig haben die Nationalsozialisten bereits im Frühjahr 1933 auch symbolische Formen der Machtergreifung vorangetrieben", erklärt Zimmermann. So wurde Hitler in vielen Städten des Reviers zum Ehrenbürger ernannt und Straßen nach Nazi-Größen oder so genannten "Märtyrern der Bewegung" umbenannt. So wurde beispielsweise in Essen die nach dem ehemaligen sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert benannte Straße dem von Franzosen hingerichteten Nationalsozialisten Albert Leo Schlageter gewidmet, aus dem Burgplatz wurde der Adolf-Hitler-Platz und aus der Rüttenscheider- die Hermann- Göring-Straße.
"Nie die Hoffnung aufgegeben"
Der kommunistische Jugendfunktionär Junge wird nach mehreren Verhaftungen im August 1933 in so genannte Schutzhaft genommen und zunächst für sieben Wochen in das Konzentrationslager Börgermoor verschleppt. Im August 1936 flieht er vor der Einberufung zur Wehrmacht nach Holland und wird dort nach dem Einmarsch der Deutschen erneut festgenommen. Er überlebt bis zum Kriegsende die jahrelange Lagerhaft im KZ Sachsenhausen. "Kurz vor Ende des Krieges wurde ich zur Vernichtung ins Straflager Mauthausen geschickt. Dort habe ich zwischen Leichen gelegen und überlebt", sagt Junge. "Ich habe in der ganzen Zeit nie die Hoffnung aufgegeben, dass wir siegen würden."