Die Geschichte des "berühmtesten Pakets der Welt" beginnt im Herbst 1945. Europa liegt am Boden. Millionen Menschen hausen in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs, ohne Nahrung, Kleidung und Medikamente. Noch können in Deutschland aus der Kriegszeit gerettete Reserven verteilt werden.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
Tägliche Essensration: meist nur Brot und Kartoffeln. 800 bis 1000 Kalorien. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben (ein erwachsener Mitteleuropäer benötigt bei leichter Arbeit täglich 2300 Kalorien). Wenige Wochen nach Kriegsende gehen auch diese kärglichen Reserven aus. Am härtesten trifft es die Menschen in den Trümmerlandschaften der Großstädte. 1946 schickt der Bürgermeister von Wien ein verzweifeltes Telegramm an die Vereinten Nationen in New York: "Ich richte die dringende Bitte an Sie: Kommen Sie nach Wien und überzeugen Sie sich selbst. Wir können nicht mehr weiter".
Forever CARE
Die ursprünglich auf Zeit gegründete Organisation CARE ist heute eine der größten privaten Hilfsorganisationen weltweit. Die Abkürzung CARE steht jetzt für "Cooperative for American Relief (Hilfe) to Everywhere" (Überall) Neben der Verteilung von Notpaketen in Krisen und Katastrophengebieten betreut CARE heute Hilfsprogramme in rund 70 Ländern der Erde.
Eine Welle der Solidarität ergreift die USA
Die große Not in Europa bleibt der amerikanischen Öffentlichkeit nicht verborgen. Siegermeldungen und Berichte über Gräueltaten der Nazis werden nun abgelöst durch Schlagzeilen von hungernden Kindern in Europa. Eine Welle von Solidarität ergreift die USA, das Mitgefühl gilt jetzt auch den ehemaligen Feinden. Doch wie kann man helfen? Spenden? Aber wohin? Und wer soll das Ganze über den Ozean bringen?.
Geniale Idee für Familienangehörige
Dann wird in New York eine rettende Idee geboren: Lincoln Clark, Wallace Campbell und Arthur Ringland – alle drei in Entwicklungshilfeorganisationen beschäftigt – erinnern sich an ein Konzept, das schon einmal im Ersten Weltkrieg diskutiert wurde. Statt Spenden an eine Hilfsorganisation zu überweisen, sollen US-Bürger Patenschaften für einzelne Lebensmittelpakete übernehmen und die Adressaten in Europa selber benennen. Wenn das Paket den Empfänger erreicht, wird der Erhalt für den Spender quittiert. Kann der Adressat nicht ermittelt werden, bekommt der Spender sein Geld zurück. Die Idee ist genial. Denn zahllose US-Bürger haben Verwandte oder Freunde in Europa. Der Krieg hat den Kontakt zumeist unterbrochen. Die Bereitschaft ihnen direkt zu helfen ist riesengroß
Heilsarmee und Quäker machen´s möglich
Dann gelingt dem engagierten Helfer-Trio in New York ein wichtiger Schritt: Insgesamt 22 nicht-staatliche Wohlfahrtsverbände – darunter die Heilsarmee und die Quäker – lassen sich von dem Konzept überzeugen. Sie schließen sich zu einer Arbeitsgemeinschaft auf Zeit zusammen. Name: Cooperative for American Remittances to Europe (Vereinigung für amerikanische Hilfssendungen nach Europa).
Gut geplanter Nebeneffekt der komplizierten Benennung: Die Initialen ergeben das einfache und symbolträchtige Wort CARE (engl. Fürsorge). Aufgabe von CARE: Anwerben von Spendern, Suche nach den gewünschten Empfängern, Bereitstellung von Paketen und Versand nach Europa. Eine gewaltige logistische Herausforderung.
Was hat dringesteckt?
Die klassischen "40 000 Kalorien-Pakete" enthielten: 1 Pfund Rindfleisch in Kraftbrühe, 1 Pfund Steaks und Nieren, 0,5 Pfund Leber, 0,5 Pfund Corned Beef, 0,75 Pfund "Prem" (Fleisch zum Mittagessen), 0,5 Pfund Speck, 2 Pfund Margarine, 1 Pfund Schweineschmalz, 1 Pfund Aprikosen-Konserven, 1 Pfund Honig, 1 Pfund Rosinen, 1 Pfund Schokolade, 2 Pfund Zucker, 0,5 Pfund pulverisierte Eier, 2 Pfund Vollmilch-Pulver 2 Pfund Kaffee
Als CARE am 27. November 1945 die Arbeit aufnimmt, ist der Erfolg alles andere als sicher. Gemessen an der gestellten Aufgabe sind die Mittel der jungen Organisation winzig. Doch dann kommt unerwartete Starthilfe von der US-Army. In deren Lagerhallen liegen 2,8 Millionen Lebensmittelpakete, mit Fleisch, Obst, Getränkepulver, Zigaretten und Kaugummi, fertig abgepackt und bereit zum Verschiffen. Vorgesehen waren diese so genannten "Ten in One" Pakete, mit denen zehn Soldaten einen Tag ernährt werden können, für eine mögliche Invasion Japans.
Truman spendet das erste CARE-Paket für Japan
Doch Japan hat – nach Hiroshima und Nagasaki – kapituliert. Die US-Regierung stellt die Pakete der neuen Organisation CARE zur Verfügung. Für 10 US-Dollar können US-Bürger eine Patenschaft übernehmen. Der erste Spender: US-Präsident Harry Truman. Werbewirksam finanziert er gleich hundert Stück.
Sowohl Ex-Agenten als auch Journalisten arbeiten am Verteilungssystem
11. Mai 1946: Die ersten "Ten in one´s" erreichen das französische Le Havre. Wenig später werden 35.000 weitere in Bremen gelöscht. Dann beginnt erstmal Chaos. Die Hilfe ist da, aber die angegebenen Empfänger sind in den Wirren der Nachkriegszeit kaum zu ermitteln. Doch die Mitarbeiter von CARE – ein buntes Gemisch aus Kriegsveteranen, Quäkern, Gewerkschaftern, Journalisten, Ex- Agenten – lassen sich nicht beirren. Fieberhaft arbeiten sie am Aufbau eines funktionierenden Verteilungssystems. Im Juli 1946 unterhält CARE seine Büros und Lagerhallen in elf europäischen Ländern sowie in der amerikanischen, britischen und der französischen Besatzungszone in Deutschland.
Herz zerreißende Werbefilme mit Promis wie Marlene Dietrich
In Amerika selbst wird inzwischen die Werbetrommel kräftig geschlagen. Herz zerreißende Werbefilme werden hergestellt und gezeigt. Auch Prominente wie die Präsidentenwitwe Eleanor Roosevelt, der Boxer Joe Louis oder die Schauspielerin Marlene Dietrich machen Werbung für CARE. Bald wollen US-Bürger nicht mehr nur Pakete an Freunde und Verwandte verschicken, sie übernehmen auch Patenschaften für unbekannte Not leidende Europäer.
Schon bald kursiert in Deutschland eine Anekdote: Viele der ersten Empfänger hätten die kostbaren Pakete nicht angerührt. Grund: die englische Aufschrift "Gift for Germany" (engl. Geschenk für Deutschland) habe Giftängste geschürt. Die skurrile Geschichte stimmt aber nicht. Keine Mahlzeit wird mir je wieder so gut schmecken wie jene Lebensmittel aus dem CARE-Paket«, erklärte eine Zeitzeugin kürzlich in einem TV-Bericht.
Geschenk des Himmels
Als "Geschenk des Himmels", als "einziger Lichtblick in der Stunde der bittersten Not" werden die bald schon wöchentlich eintreffenden Hilfslieferungen aus Amerika dringend erwartet. Schnell erkennt die Militärverwaltung in Deutschland auch die politische Bedeutung der Pakete. Die gefährliche Verzweiflung der hungrigen Bevölkerung weicht allmählich, macht Platz für Zuversicht und Hoffnung. Streiks und Unruhen sind nicht mehr zu befürchten.
Später gibt es auch Werkzeug- und Lesepakete
Im März 1947 sind die Bestände der Armee verbraucht. Jetzt beginnt CARE eigene, mehr auf den Bedarf von Familien abgestimmte Pakete zusammenzustellen. Die Inhalte werden immer fürsorglicher durchdacht. Neben den "einfachen" Lebensmittelpaketen, gibt es jetzt auch koschere Pakete für Juden, Pastapakete für Italiener oder Pakete mit reiner Säuglingsnahrung. Insgesamt fünfzehn verschiedene Pakettypen stehen den Spendern in den USA schließlich zur Auswahl. Darunter auch "non-food packages" wie Werkzeugpakete oder Lesepakete mit englischsprachiger Literatur inklusive Wörterbuch. Als ganz besondere Bescherung für europäische Familien gedacht: das Festtagspaket – ein unzerlegter Truthahn von sieben Pfund Gewicht, eingelegt und konserviert in einem Kochschmalzbrett.
Parole Durchhalten
24 . Juni 1948: Als die Sowjets Berlin blockieren, lautet die Devise von CARE "Jetzt erst recht!" Mehr als je zuvor spenden die Amerikaner und inzwischen auch die Kanadier für die eingeschlossenen Berliner. Die Organisation chartert eigene zivile Maschinen, um die Hilfssendungen in die Stadt zu bringen. Vor allem zwei Pakettypen werden in den Bäuchen der Rosinenbomber im Minutentakt nach Berlin geflogen. Die "40.000 Kalorien-Pakete" gefüllt mit den wichtigsten Grundnahrungsmittel und Versorgungspakete mit Wolldecken, Nähzeug, Kleidern, Schuhen und Medikamenten.
CARE-Pakete prägen positives Image der Amis
Im Juni 1960 steht Europa wieder auf eigenen Beinen. In Deutschland rollt das Wirtschaftswunder an. CARE stellt seine Arbeit in Europa ein. Bilanz: insgesamt rund 100 Millionen Pakete, davon zehn Millionen für Deutschland. Die Erinnerung an die Liebesgaben aus Übersee aber bleibt lange, prägt das positive Amerikabild vieler Deutscher bis heute, wird zum politischen Motiv, wenn – wie zuletzt beim Irak-Krieg – daran erinnert wird, Deutschland stehe in der Schuld der US.
Das aktuelle P.M. Doku
Der Text von Sabine Schwabenthan stammt aus dem aktuellen "P.M. Doku: Auf 100 Seiten die wirkliche Geschichte der Luftbrücke zum großen TV-Event auf SAT 1", das im Zeitschriftenhandel erhältlich ist.
Care-Pakete BSE-verseucht
Der jüngste Versuch der Deutschen, sich bei Amerika für die geleistete Nachkriegs-Hilfe zu revanchieren ist allerdings danebengegangen. Als die Bundeswehr im August dieses Jahres 20.000 Hilfspakete zu den Opfern des Hurrikans Katrina nach New Orleans einfliegen will, wird deren Annahme verweigert. Grund: Die US-Behörden befürchten, die "Einmannpackungen" (Epa´s) der deutschen Bundeswehr könnten BSE verseucht sein!