Stern-Chefredakteur "Merz muss endlich Profi werden" – Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern-Titel

Der aktuelle stern-Titel: Friedrich Merz
Der aktuelle stern-Titel: Friedrich Merz
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Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick in das neue stern-Magazin und spricht über Friedrich Merz und seinen Kampf um die Spitze.

Friedrich Merz ist ein Mensch mit erstaunlichen Fähigkeiten. Er kann über beinahe jede Weltregion einen Vortrag halten, als wäre er in genau dieser Weltregion aufgewachsen – und nicht im Sauerland. Er kann so eloquent über die globale Unternehmenswelt referieren, als hätte er mindestens zwei Weltkonzerne aufgebaut und drei weitere geleitet. Er betont die Notwendigkeit guten Regierens derart staatsmännisch, dass niemand mehr fragt, warum er eigentlich selbst bislang keinen einzigen Tag regiert hat, nicht einmal als Minister oder Staatssekretär. Und er ist leidensfähig: Drei Mal trat Merz an, bis er endlich an der CDU-Spitze stand.

Wegen all dieser Fähigkeiten ist Joachim-Friedrich Martin Josef Merz, 67, eine geachtete, ja bewunderte Figur in der Union, vor allem auf deren konservativem Flügel. Er kann einen Saal voller gleichgesinnter Herren (gleichgesinnte Damen erreicht er in der Regel weniger gut) zum Kochen bringen. So tröstete sich Merz durch die für ihn so bitteren Merkeljahre, als er oft als politischer Vortragskünstler durch die Republik tingelte.

Über diese Jubelauftritte hat er vielleicht vergessen, dass der Vorsitzende einer Volkspartei nicht bloß einen überschaubaren Teil des Volkes mitnehmen sollte – und dass er sehr viele andere verschreckt, wenn er unsauber argumentiert und unklar bleibt. Merz, der sich so gern als Profi inszeniert, wirkt in der Kommunikation erstaunlich amateurhaft. Ich erinnere mich an einen Auftritt von ihm in Bayern vor einigen Jahren. Damals erhielt er für viele Aussagen stürmischen Applaus. Doch als Schlagzeile blieb bloß hängen, dass Merz die Klimaaktivistin Greta Thunberg "krank" nannte.

Alternativloser Kanzler?

Es ist ein Muster zu erkennen: Merz stößt durchaus notwendige Diskussionen an, etwa zur Migrationspolitik oder zum Thema, ob man partout arm sein muss, um ein guter Politiker zu sein. Aber wenn er dann von "kleinen Paschas" spricht oder sich selbst – trotz Privatjet und damaligem Millionengehalt – als "gehobene Mittelschicht" einordnete, erstickt die Empörung darüber jede Debatte. Genauso wie nun zum Umgang mit der AfD.

Abschreiben sollte man Merz dennoch nicht. Wegen seiner oben beschriebenen Leidensfähigkeit. Aber auch weil er an die Spitze kam, um den rechten Rand der CDU in der Partei zu halten. Wer soll das sonst erledigen? NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der sich als Traum-Schwiegersohn inszeniert? Daniel Günther aus Schleswig-Holstein, der Volksnähe durch fröhliches öffentliches Singen betont? Oder doch CSU-Chef Markus Söder, den die CDU eigentlich nie wieder rufen wollte? Vielleicht ist Friedrich Merz, bei allen Schwächen, gerade doch systemrelevant für die Union und deren Zusammenhalt. Dann muss er aber in jeder Hinsicht endlich ein Profi werden.

Dass Freibäder in Deutschland systemrelevant sind, müssen wir hingegen nicht diskutieren. Meine Kollegin Jana Luck und mein Kollege Moritz Herrmann zitieren daher schon zum Einstieg ihres Textes darüber, ob am Beckenrand gerade wieder Chaos herrscht, niemand Geringeren als Theodor Adorno. Das Recherche-Duo ging auch der Frage nach, wie selbstbewusste Freibadleiter ("ein Mann wie ein Speedo: klein, aber markant") auch heute noch für Recht und Ordnung sorgen können. Oder ob beides von einigen Freibadschlägern gar nicht so bedroht ist, dass wir gleich Schwimmbad-Schnellverfahren brauchen, wie sie CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte. Es ist eine Frage, die das Sommerloch überdauern dürfte.

Erschienen in stern 31/2023