Am Wochenende hat es im Evin-Gefängnis im Norden der iranischen Hauptstadt Teheran gebrannt. Das Gefängnis ist berühmt-berüchtigt, die katastrophalen Haftbedingungen werden seit langem von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. In dem Gefängnis sitzen vor allem politische Gefangene, Demonstrant:innen und Intellektuelle. Genau die Menschen, die seit dem Tod von Mahsa Jina Amini vor vier Wochen auf iranischen Straßen protestieren und dafür verhaftet wurden. Inzwischen ist der Brand gelöscht, doch mindestens vier Häftlinge sind gestorben und mehr als 60 wurden verletzt, wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtet. Das Regime bestreitet jeglichen Zusammenhang mit den Protesten.
Proteste im Iran: "Die Menschen haben die Schnauze voll"
Den Protestierenden sei sehr bewusst, dass sie ihr Leben riskierten, berichtet Journalistin Natalie Amiri in der 383. Folge des Podcasts "heute wichtig". Amiri hat selbst iranische Wurzeln und bis 2020 das ARD-Studio in Teheran geleitet. Bis heute pflegt sie Kontakte in das Land: "Die Menschen haben so die Schnauze voll, dass sie jetzt auf die Straße gehen und sagen: 'Wir haben sowieso nichts mehr zu verlieren. Also riskieren wir unser Leben, um vielleicht am Ende etwas zu gewinnen.'"
Viele der Videos, die in den sozialen Medien kursieren, entstehen unter Lebensgefahr. Das Regime hat das Internet gedrosselt, um Kontakte ins In- und Ausland zu begrenzen. Dafür gibt es mit 1,5 Millionen Dollar pro Stunde viel Geld aus, so Amiri. Außerdem wurden seit Beginn der Proteste mehr als 40 iranische Medienschaffende inhaftiert. Diese Personen hätten überhaupt erst dafür gesorgt, dass der Fall Mahsa Jina Amini bekannt wurde, kritisiert die "Weltspiegel"-Moderatorin: "Diese Journalistinnen und Journalisten aus dem Iran haben keine Menschen, die sie unterstützen. Und die verschwinden einfach in der Versenkung einer Zelle."
Jede Form von Solidarität hilft den Menschen im Iran
Trotz aller Gefahr protestieren viele Menschen im Iran bereits seit vier Wochen. Am Anfang noch unter dem Radar, doch mittlerweile gibt es auch international viel Beachtung und Solidarität. Manche der Bekundungen werden kritisiert, wie die Videos deutscher Schauspielerinnen, die sich erst nach Wochen der Proteste eine kleine Haarsträhne abschnitten. Doch auch das kommt an, berichtet Natalie Amiri von ihren Quellen vor Ort: "Menschen im Iran sagen: 'Jede einzelne Solidaritätsaktion bringt uns was, denn wir haben sonst niemanden. Wir sind auf uns alleine gestellt und haben keinen Präsidenten wie Selenskyj, der im Namen des Volkes spricht. Sondern unser Präsident ist gegen uns.'"
Viele Iranerinnen und Iraner wünschen sich Säkularismus – die Trennung von Staat und Islam
Wie lange die Proteste noch gehen, lässt sich schwer vorhersagen. Doch was sie ausmacht, ist, dass anders als bei vergangenen Protesten Menschen aus allen Gesellschaftsschichten auf der Straße sind, fasst Amiri zusammen: "Es sind religiöse Minderheiten auf der Straße, Frauen, die frenetisch beklatscht werden von den Männern auf der Straße, weil sie ihr Kopftuch abnehmen und es verbrennen und auf der Straße tanzen." Dazu kommen Menschen aus allen Altersschichten, von der Generation Z bis zu den Älteren: "Die schämen sich, was sie ihren Kindern überlassen haben. Insofern gibt es eine enorme Einheit im Iran."
Genau diese Einheit könnte dem Regime gefährlich werden. Denn viele Menschen im Iran wünschen sich einen säkularen Staat, der ihnen weniger vorschreibt: "Die Menschen haben nichts mehr zu verlieren. Deshalb geben sie alles. Inklusive ihres Lebens."
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