US-Wahl 2024 Seniler Greis? US-Republikaner machen mit irreführenden Biden-Videos Wahlkampf

Joe Biden Mitte Juni beim G7-Gipfel in Borgo Egnazia, Italien
Der älteste US-Präsident aller Zeiten: Joe Biden Mitte Juni beim G7-Gipfel in Borgo Egnazia, Italien
© Vannicelli / Grillotti / / Picture Alliance
Wäre US-Präsident Joe Biden trotz seines hohen Alters fit genug für eine zweite Amtszeit? Viele Amerikaner bezweifeln das – und die Republikaner und ihre Unterstützer befeuern die Bedenken.

US-Präsidenten sind durchschnittlich 55 Jahre alt, wenn sie die Regierungsgeschäfte übernehmen. Der bisher jüngste Präsident, Theodore Roosevelt, war sogar erst 42, als er 1901 die Nachfolge seines ermordeten Vorgängers William McKinley antrat. Joe Biden wäre bei einer Wiederwahl 82 – fast doppelt so alt wie Roosevelt. Viele Amerikaner sehen darin ein großes Problem. 

Laut einer Umfrage der "New York Times" und des Siena Colleges von Anfang März glauben 73 Prozent aller registrierten Wählerinnen und Wähler in den USA, dass Biden zu alt ist, um ein effektiver Präsident zu sein. Auch die Deutschen haben große Zweifel an der Fitness des 81-Jährigen. 68 Prozent halten ihn für zu alt, um weitere vier Jahre die Schalthebel der Supermacht zu bedienen, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag des stern im Februar ergab.

Republikaner sezieren jeden Biden-Auftritt

Für die Republikaner und Donald Trump sind die Bedenken im Wahlvolk ein gefundenes Fressen. Bidens Kontrahenten im Rennen um die Präsidentschaft sezieren jeden Auftritt des Amtsinhabers und nutzen jede Gelegenheit, um den Demokraten als senilen Greis darzustellen. Und Gelegenheiten liefert ihnen der siebenfache Großvater reichlich: Allein sein steifer Gang, den selbst sein Leibarzt in jedem veröffentlichten Gesundheitscheck bestätigt, erweckt beim Betrachter das Bedürfnis, ihn an die Hand zu nehmen, damit er nicht hinfällt. Aber Biden bewegt sich nicht nur träge, er scheint auch manchmal träge zu denken. Immer wieder verspricht er sich bei Auftritten, bringt Sätze nicht zu Ende oder stolpert über komplizierte Wörter – und das nicht nur, weil er mit einem Stotter-Problem aufwuchs.

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Auch mit den Namen oder Nationalitäten ausländischer Staats- und Regierungschefs hat Biden so seine Probleme: Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron etwa machte er jüngst zu dessen Vorgänger, François Mitterrand. Als die Amerikaner im Frühling mit Lebensmittellieferungen aus der Luft für den Gazastreifen begannen, verkündete Biden versehentlich im Weißen Haus, die Essenspakete würden über der Ukraine abgeworfen.

Doch die Sorgen um den körperlichen und geistigen Zustand des mächtigsten Mannes der Welt werden nicht nur durch Bidens echte Fehltritte und Patzer gespeist, sondern auch durch irreführende Videos seiner Auftritte, die Donald Trump, seine Republikanische Partei, erzkonservative Medien und rechtsgerichtete Influencer im Internet verbreiten. Sie dienen ihnen als vermeintliche Beweise dafür, dass Biden abschweift, erstarrt oder sich auf einen Stuhl setzen will, der gar nicht da ist.

Gekürztes Video lässt Biden desorientiert wirken

So veröffentlichten die "New York Post" und ein offizieller Internetaccount der Republikaner vor einigen Tagen ein Video von Biden auf dem G7-Gipfel in Italien, das den Anschein erweckt, der US-Präsident würde während einer Fallschirmsprungvorführung desorientiert von den anderen Staats- und Regierungschefs weg ins Nichts wandern. Auch Trump machte sich über den Clip lustig. In Wirklichkeit handelt es sich aber um geschnittene Aufnahmen. Sieht man sich das vollständige Video an, wird deutlich, dass Biden sich lediglich anderen Fallschirmspringern zuwendet und mit ihnen interagiert.

Biden habe sich bewegt, um den Fallschirmspringern mit einer Geste viel Glück zu wünschen, versuchte Präsidentensprecherin Karine Jean-Pierre die bereits in die Welt hinausgeschickten Bilder einzufangen. "Dies wurde umfassend überprüft (...), auch von konservativen Medien." Auch der Sender NBC betrieb Aufklärung in der Sache und stellte eigene Aufnahme aus einem anderen Blickwinkel ins Netz, die zeigen, wie Biden mit den Soldaten nur ein paar Meter entfernt kommuniziert.

Ebenfalls vom G7-Gipfel stammt ein Video, auf dem Biden und Macron sich die Hände schütteln und der US-Präsident anschließend suchend hinter sich greift und die Knie beugt, um sich zu setzen. "Biden hat gerade versucht, sich auf einen Stuhl zu setzen, der nicht existiert", heißt es in einem auf Instagram geposteten Clip dazu. Das soziale Netzwerk hat den Beitrag mittlerweile als "Fehlinformation. Von unabhängigen Faktenprüfern geprüft", markiert, denn er ist ebenfalls gekürzt. Wie das vollständige Video der Veranstaltung zeigt, befindet sich durchaus ein Stuhl hinter Biden, auf den er sich auch setzt.

Ein weiteres von den Republikanern und rechten Medien verbreitetes Video soll Biden in einem Zustand geistiger Verwirrung zeigen. Auf der Nahaufnahme ist zu sehen, wie der Präsident während eines Konzertes im Weißen Haus still dasteht, während führende Politiker aus aller Welt in seiner Nähe tanzen. Tatsächlich sagt Biden seit Langem, dass er kein guter Tänzer sei und selbst bei seinem Antrittsball 2021 kaum getanzt habe. "Der Präsident stand da und hörte der Musik zu, aber er hat nicht getanzt", stellte Jean-Pierre klar. "Ich wusste nicht, dass es ein Gesundheitsproblem ist, nicht zu tanzen."

Trump-Lager stürzt sich auf Biden-Auftritt in Los Angeles

Auch nach einem Biden-Auftritt am vergangenen Wochenende in Los Angeles schlug die rechte Propagandamaschinerie zu: Aufnahmen vom Ende der Veranstaltung zeigen, wie der Präsident und sein Vorvorgänger Barack Obama ihren Anhängern zuwinken, während diese sie mit stehenden Ovationen bejubeln. Dann blickt Biden einen Moment lang ins Publikum, bevor Obama ihn an den Arm fasst, um zu signalisieren, dass es Zeit sei, die Bühne zu verlassen.

Auf einem Social-Media-Account der Republikaner erschien der Clip daraufhin mit der Behauptung, dass Biden auf der Bühne "einfriert, bevor Obama ihn am Arm packt und von der Bühne führt". Die "New York Post" machte daraus sogar eine Titelgeschichte, in der sie schrieb, Biden sei "wie erstarrt" gewesen, "bis der ehemalige Präsident Barack Obama sein Handgelenk nahm und ihn von der Bühne führte". Mehrere erzkonservative News-Outlets behaupteten sogar, Biden habe den "Anschein von Demenz" erweckt. Im Sender Fox News verkündeten diverse Moderatoren, der Amtsinhaber sei "in einer geriatrischen Trance erstarrt", "dement", leide unter einem "ernsthaften geistigen Verfall" und dass das Weiße Haus "die Demokraten zwingt, über Bidens Fitness zu lügen".

Mehrere Teilnehmer der Veranstaltung erklärten dagegen laut dem Sender NBC, dass sie derartige Interpretation nicht nachvollziehen könnten.

Jean-Pierre nannte die Aufnahmen "billige Fälschungen" und wertete sie als Zeichen, "wie verzweifelt die Republikaner sind". Ansonsten stehen die Demokraten und das Weiße Haus der Verbreitung irreführender Videos ziemlich hilflos gegenüber. Durch aggressives Überprüfen der Fakten, durch die rasche Veröffentlichung vollständigerer Clips mit entsprechendem Kontext und durch das Anprangern von Medien, die solche Videos verbreiten, versuchen sie, den Schaden zumindest zu begrenzen.

"Wir können sie nicht davon abhalten, dies zu tun. Was wir tun können, ist wie der Teufel zu kämpfen, um Faktenchecks zu machen und diese Faktenchecks zu verbreiten", zitiert NBC ein Mitglied von Bidens Wahlkampfteam. "Dringt das möglicherweise zu den unabhängigen Wählern durch? Ja, und das ist es, wogegen wir uns schützen und kämpfen."

Demokraten posten Clips mit Trump-Patzern

Zu dem Kampf gehört auch, dass das Biden-Lager mit den gleichen Waffen zurückschlägt und ähnliche Videos von Trump veröffentlicht. Schließlich hat der 78-Jährige eine eigene Historie von Patzern, Versprechern und Gedächtnislücken. So forderte Trump am vergangenen Wochenende Biden zu einem kognitiven Test auf und prahlte dann mit seinen eigenen Testergebnissen aus seiner Zeit im Weißen Haus. Dabei wusste er allerdings nicht einmal den richtigen Namen des durchführenden Arztes und nannte den Abgeordneten Ronny Jackson, der damals der Mediziner im Weißen Haus war, mehrfach Ronny Johnson. Das progressive Nachrichtennetzwerk MeidasTouch hat jetzt ein Video veröffentlicht, das drei volle Minuten lang zeigt, wie Trump während seiner Präsidentschaft und danach Orte und Namen verwechselt.

Die Problematisierung von Bidens Alter beschäftigt mittlerweile auch dessen Ehefrau Jill. Bei einer Veranstaltung für Senioren vor wenigen Tagen in Phoenix griff sie das Thema offensiv auf und stellte klar: "Joe und der andere Kerl sind im Grunde genommen gleich alt, also lassen Sie sich nicht täuschen."