Von 15 Minuten Ruhm hat der amerikanische Künstler Andy Warhol einmal gesprochen. Diese würden in der modernen Mediengesellschaft künftig jedem zuteil. Die thüringische Mittelstadt Nordhausen ist ein politisches Beispiel für dieses Phänomen.
Die Wahl ihres neuen Oberbürgermeisters hat den 41.000-Einwohner-Ort für einen Moment ins Zentrum des bundesweiten Interesses katapultiert. Oder um genauer zu sein: die Tatsache, dass in der ersten Runde am 10. September der AfD-Kandidat Jörg Prophet vor dem Amtsinhaber Kai Buchmann lag.
Ein dritter Sieg der AfD in Folge schien sich abzuzeichnen: Erst setzte sich im thüringischen Sonneberg Robert Sesselmann als erster Landrat der AfD durch. Dann wurde in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt sein Parteikollege Hannes Loth Bürgermeister. Jetzt also Nordhausen, so dachten viele.
Seit Sonntagabend wissen wir, dass auf Nordhausen ein Bonmot zutrifft, das vom Dichter Wilhelm Busch stammt: "Aber hier wie überhaupt kommt es anders, als man glaubt." Der AfD-Kandidat verlor.
Die Ausgangsbedingungen der AfD waren eigentlich gut
Manche warnen nun davor, die überraschende Niederlage nicht überzubewerten. Wer sie zu groß macht, spiele der AfD nur in die Hände, so sie Befürchtung.
Das ist falsch. Der Versuch vieler Medien, die AfD durch Ignorieren kleinzuhalten, ist gescheitert, das zeigen aktuelle Umfragen. Deshalb ist es richtig, der AfD mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Allerdings auch dann, wenn bei den Rechten mal was nicht klappt.
Nordhausen wurde von der AfD zum Symbol stilisiert, dass ihr Durchmarsch an die Macht nicht mehr aufzuhalten ist. Jetzt dient der Ort als Gegenbeweis. Der Aufstieg der AfD ist keineswegs unaufhaltsam.
Dabei hatten die Rechtspopulisten in Nordhausen scheinbar ideale Ausgangsbedingungen. Der Amtsinhaber war umstritten, sein AfD-Herausforderer hatte sich als Geschäftsmann einen Namen gemacht. Und wusste den Genossen Trend auf seiner Seite. In Umfragen erzielt die Partei derzeit in Ostdeutschland neue Rekordwerte, ist nach der Union zweitstärkste Kraft.
Die AfD konnte nicht in die Märtyrerrolle schlüpfen
Warum es dennoch anders kam? Es gab keinen geschlossenen Aufruf der anderen Parteien gegen die AfD. Was es dieser erschwerte, in die übliche Märtyrerrolle zu schlüpfen. Zugleich wehrten sich große Teile der Zivilgesellschaft dagegen, dass ihre Stadt künftig von einem AfD-Mann repräsentiert wird. Zahlreiche Vereine und Privatpersonen machten in der gemeinsamen Initiative "Nordhausen Zusammen" deutlich, dass sie nichts von einer Politik der Spaltung wissen wollen.
Klar, pauschale Lösungen für den Umgang mit der AfD bietet auch Nordhausen nicht. Immerhin 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben im zweiten Wahlgang für den AfD-Kandidaten gestimmt. Der sich hier abzeichnende Graben wird nicht über Nacht verschwinden.
Vielleicht ist die wichtigste Lehre aus der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen deshalb nochmal eine andere: Dass wir aufhören müssen, uns nur Warholsche 15 Minuten für Orte und Regionen zu interessieren, in denen gesellschaftliche Veränderungen besonders deutlich werden. Viel wichtiger wäre, auch nach der Wahl weiter hinzuschauen. Wie gehen die Menschen jetzt mit der Spaltung um? Was braucht es für eine Aussöhnung? Welche Lehren zieht der alte und neue Oberbürgermeister aus den Ereignissen?
Im kommenden Jahr wird nicht nur in drei ostdeutschen Bundesländern ein neues Parlament gewählt. In neun finden zudem Kommunalwahlen statt, auch sie oft nicht nur ein Gradmesser für lokale Befindlichkeiten, sondern für die Stimmung im Land. Wer im Vorfeld mehr Interesse und eine längere Aufmerksamkeitsspanne aufbringt, der wird am Wahlabend dann auch nicht kalt überrascht.