Immer mehr Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine. Laut des UN-Flüchtlingshilfwerks UNHCR haben bereits mehr als 1,5 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Heimat verlassen. Doch es gibt auch eine kleine Gegenbewegung: Menschen, die freiwillig in das Kriegsgebiet ziehen. Wie der Verfassungsschutz in den vergangenen Tagen mitteilte, hätten sich einige wenige deutsche Rechtsextreme auf den Weg gen Osten gemacht, um zu kämpfen – manche für die ukrainische, manche für die russische Seite.
Aber auch die, die sich nicht freiwillig an die Front stellen, machen etwa über Telegram Stimmung für oder gegen die Ukraine. Schnell wird deutlich: die extreme Rechte in Deutschland scheint gespalten. Was aber verbindet sie mit der ukrainischen oder der russischen Seite?
Ukraine-Krieg: Deutsche Rechtsextreme können sich nicht auf eine Seite einigen
Der Politologe und Extremismus-Forscher Hajo Funke beobachtet rechtsextreme Bewegungen in Deutschland seit Jahrzehnten. Im Gespräch mit dem stern erklärt er: es gibt Parallelen zu früheren Konflikten: "Krieg ist faszinierend für die extreme Rechte. Im Jugoslawien-Krieg hat man ähnliches gesehen. Auch damals teilte sie sich auf – auf die Seite der extremen Serben und auf die Seite der extremen Kroaten."
Was aber eint die Rechtsextremen mit der einen oder der anderen Seite? Das ist pauschal nicht so einfach zu beantworten. Zwar liegen die Ansichten und Ideologien der Ukraine und Russlands weit auseinander, dennoch können Rechtsradikale jeweils individuell Punkte aus ihnen ziehen, die sie in ihrer Ideologie bestärken.
Der Kampf gegen den vermeintlichen Bolschewismus
Insbesondere die, die sich aus ideologischen Gründen auf die Seite der Ukraine schlagen, tun dies oftmals unter falschen Vorzeichen. Wie die "taz" berichtet, schwadronierten Rechtsextreme in den vergangenen Tagen in Telegram-Gruppen oftmals über den Kampf gegen den "Neo-Bolschewismus", den sie unterstützen wollten. Ein Argument, das schwer nachzuvollziehen ist, erklärt Funke: "Es handelt sich nicht um ein bolschewistisches Russland. Insofern ist die Annahme, man kämpfe gegen den Bolschewismus, wenn man an Putin denkt, nicht angemessen." In diesem Fall zähle ein viel wichtigerer Aspekt:
"Der Kampf der 'Deutschen' gegen die 'Russen' ist für das ideologische und emotionale Format dieser Rechtsextremen entscheidend. Die Geschichte spielt immer eine Rolle. In diesem Sinne: Die Geschichte Deutschlands. Also die 'Sieger- und Kampfseite', nicht die Niederlagenseite", so Funke.
Insbesondere Kleinst- und Splitterparteien wie die NPD und der III. Weg versuchen im Netz aktiv Stimmung für eine Beteiligung am Ukraine-Krieg zu machen, Seite an Seite mit ukrainischen Nationalisten, etwa dem "Asow Bataillon", einer Kampfgruppe aus freiwilligen ukrainischen Rechtsradikalen, die schon beim Konflikt auf der ukrainischen Halbinsel Krim aktiv war.
Funke betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich die deutsche extreme Rechte nicht gleichmäßig auf die Seite der Ukraine oder Russlands aufteilen lässt: "Es gibt natürlich auch ukrainische Nationalisten, über die das Interesse am Kriegsgeschehen geschürt wird. Eine Spaltung der extremen Rechten sehe ich aber noch nicht." Ein paar Wenige würden in die Ukraine fahren, um das Kriegshandwerk zu lernen, so Funke. Ein Großteil sei aber auf Seiten Russlands.
Deutsche Rechtsradikale auf Seiten Putins – wie passt das zusammen?
Historisch könnte man dies für einen Widerspruch halten. Für viele Rechtsextreme sei die Ideologie in diesem Zusammenhang allerdings deutlich entscheidender, erklärt Funke: "Ideologisch liegt es nahe, dass man in Russland einen Gegner des Westens, der westlichen Elite und der Globalisierung sieht. In Russland haben viele deutsche Rechtsextreme intensiver Kontakt, so scheint es, und man sieht in Russland diese Alternative zum Westen. Zugleich spielt die Kritik etwa an Multikulti und an der Genderdebatte hier hinein."
Bei genauerer Betrachtung vertreten viele Nationalisten in Russland und rechtsradikale Deutsche sogar die gleichen Standpunkte. Putin beschwöre eine großrussische Reichsbewegung, ähnlich wie der ideologische Vordenker Alexander Dungin: orthodox, christlich, gegen Muslime. All das imponiere den Rechtsextremen, so Funke.
Dungin ist Politiker und Philosoph. Er gilt als Neo-Faschist und Ideengeber der Neuen Rechten in Russland. Er propagiert die Position des "Neo-Eurasismus", eines anti-westlichen großrussischen Reiches als Gegenpol zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Wie eng die Verbindungen zwischen Dugin und Putin sind, ist unklar. Dennoch ist auffällig, dass sich die Ideologien beider in vielen Punkten überschneiden. Wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß betont Funke:
"Putin hat diese Großreichsideen, wenn er auch nicht so paranoid ist, um blind der Ideologie von Dugin zu folgen. Der ist noch deutlich radikaler und umfassender und hat Putin schon als zu liberal kritisiert." Doch die Ausrichtung auf ein neues großes Reich gegen die westlichen Eliten fasziniert auch die extreme Rechte in Deutschland.
Die "Putinversteher": Wer jetzt noch zu Russland hält und warum

Von der EU wird Lukaschenko nicht als rechtmäßiger Präsident von Belarus anerkannt. Westliche Staaten werfen ihm Menschenrechtsverletzungen und Wahlbetrug vor. Trotz – oder möglicherweise gerade wegen – der Sanktionen gegen Belarus und Russland kündigten die beiden Staaten an, ihre Zusammenarbeit weiter auszubauen. Es sei schwer mit den Sanktionen, kommentierte Lukaschenko jüngst. "Aber sie werden uns nicht ersticken können."
Laut Funke kommen zu den ideologischen Überschneidungen zwischen Putins Unterstützern und deutschen Rechtsradikalen auch persönliche Beziehungen, die für einen Zusammenhalt sorgen. "Man hat klare ideologische Orientierungspunkte und auch Organisationsverbindungen, etwa durch die NPD, die mit Udo Voigt schon früher Kontakte nach Russland pflegte." Aber auch später hätten Rechtsextreme Vordenker wie Jürgen Elsässer oder Teile der AfD unter Frauke Petry Kontakte nach Russland gehabt, so Funke.
Ob rechtsextreme Splittergruppen mit der Stimmungsmache für oder gegen die Ukraine auch ihren Einfluss in der deutschen Gesellschaft vergrößern können bleibt abzuwarten. Dass diese Gruppen den Konflikt instrumentalisieren könnten, um Menschen von ihrer Ideologie zu überzeugen, wie es in einigen Fällen bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Fall war, befürchtete Funke bisher nicht: " Ich bin unsicher, ob ein schlagkräftiges, breites Narrativ erzählt werden kann. Dazu ist der Krieg, die Zerstörungskraft dieses Krieges zu unabsehbar. Ich glaube, es wird zu keinem großen Lauf in die rechten Lager kommen."
Das Problem sei, dass die Auswirkungen des Krieges auch für Europa und im Besonderen für Deutschland noch nicht absehbar seien, so Funke: "Dieser Krieg ist ein Krieg, in dem man stirbt." Die militärische Lage sei durch die rabiate Radikalisierung des Krieges durch die russische Führung nicht gewinnbar. Auch deshalb sei es schwierig ein Narrativ für oder gegen die Ukraine zu finden, welches Menschen wirklich überzeugt.
Quellen: taz, Tagesschau, The Economist mit Material von DPA