Bei Markus Krall geht regelmäßig die Welt unter. Der große Finanzcrash wird kommen – das steht für ihn fest. Nur wann, da scheint sich auch der gelernte Volksökonom nicht ganz sicher zu sein. 2019 war sein erster Stichtag. Später prophezeite er, dass 2020 der Finanzmarkt endgültig zusammenbrechen werde, nur um das Datum der Apokalypse dann doch auf 2021 zu verschieben. Das ist jetzt auch schon wieder mehr als zwei Jahre her, und weder die Corona-Krise noch der Krieg in der Ukraine haben die Weltwirtschaft bislang in die Knie gezwungen. Für Krall kein Grund, nicht weiter davor zu warnen. Erst vor wenigen Wochen prophezeite er: Die Bauernproteste werden das Fass zum Überlaufen bringen, 2024 werden wir einen Mega-Crash der Finanzwelt erleben. Endzeitfantasien eines Untergangs-Propheten.
Man könnte Kralls immergleiche Warnung als Paranoia eines abgedrifteten Ökonomen abtun. Doch der 61-Jährige könnte in den kommenden Monaten zu einer wichtigen Figur in der Politik werden. Denn er war es, der die Gründung einer Partei aus der "Werteunion" maßgeblich vorangetrieben hat. Hinter dem Vorsitzenden des (Noch)-Vereins Hans-Georg Maaßen ist Krall das derzeit wohl wichtigste Mitglied der Gruppierung. Er ist der Mann neben Maaßen – und sein Strippenzieher.
Ökonom, "Crash-Prophet", Radikal-Kapitalist: Markus Krall träumt vom rechten Umsturz
Krall studierte in Freiburg Volkswirtschaft, promovierte 1993 zum Thema Preisbildung am japanischen Aktienmarkt. Anschließend arbeitete er als Risikomanager unter anderem für die Allianz, die Boston Consulting Group und McKinsey. Schon früh lobte er die AfD in Social-Media-Posts. Ab 2019 wurde er Geschäftsführer des Unternehmens "Degussa Goldhandel". Das Unternehmen wurde wegen Goldgeschäften bekannt, die es in den Jahren 2014 und 2015 für die AfD abwickelte, um die Partei finanziell zu stärken.
Krall vertritt radikal-libertäre Positionen. Den Sozialstaat will er möglichst komplett abschaffen, auf seinem X-Profil zeigt er sich als Karikatur mit einer Kettensäge in der Hand. Wohl eine Anspielung auf den kürzlich gewählten argentinischen Präsidenten Javier Milei, der Wahlkampf mit einer Kettensäge gemacht hatte, um damit den Staat zu "beschneiden".
Krall geht noch einen Schritt weiter. Er träumt von einer Revolution, nach der der Staat gänzlich ohne demokratische Regierung auskommen soll. Parteien sieht er als überflüssig an, Steuern im Allgemeinen würden den Bürger nur "ausquetschen". Er fordert liberalere Waffengesetze in Deutschland und vertritt die These, dass Einkommen und Intelligenz korrelieren. Deshalb sollen seiner Ansicht nach, etwa Arbeitslose ihr Wahlrecht verlieren. Ebenso wie Bafög-Bezieher, Parteimitglieder und alle, die Fördergelder, Subventionen oder andere Transferleistungen vom Staat erhalten. In seinem 2020 erschienen Buch "Die bürgerliche Revolution" spricht er sich zudem dafür aus, dass der Bundestag nur noch an 60 Tagen im Jahr zusammenkommen und Deutschland von einem sogenannten "Wahlkönig" monarchisch geführt werden soll. Dabei soll es nur noch vier Ministerien geben.
Krall will die Privatisierung des gesamten öffentlichen Raumes
Politisch war Krall lange Zeit ein kleines Licht. Bis 2012 war er CDU-Mitglied, im Juli 2023 schloss er sich der Werteunion an und arbeitet seither daran, aus dem Verein eine Partei zu machen. Lange war nicht klar, wie genau eine solche Partei sich positionieren würde. Laut Maaßen soll sie all jenen eine politische Heimat geben, denen die CDU zu weit in die Mitte gerückt, die AfD aber zu extremistisch ist. Eine Koalition mit der AfD schloss Maaßen bislang, wohl aus Kalkül, nicht aus.
Krall wird dabei noch deutlicher: Für ihn soll die Werteunion Koalitionspartner und Mehrheitsbeschaffer für die AfD werden. "Mehrheiten rechts vom Linken Altparteienblock" seien notwendig, um "Deutschland zu reformieren", so der Ökonom auf X. Seine politischen Ansichten lassen sich auf den ersten Blick wohl am ehesten als "libertär" bezeichnen – radikal-kapitalistisch. Anhänger wie Krall vertreten die Position des Minimalstaates. Möglichst keine sozialen Leistungen, möglichst keine Einwanderer und ein deregulierter Markt – von Aktienkäufen bis zur medizinischen Versorgung und dem Bildungssektor. Der Soziologe Andreas Kemper nennt die Bewegung daher "Anarcho-Kapitalismus". Ein freier Markt ohne jegliche Einschränkungen und ohne soziales Auffangnetz.
Krall bezweifelt den menschengemachten Klimawandel und verbreitet Fake News. Am Wochenende repostete er ein Bild der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Hamburg mit der Behauptung, es sei manipuliert. "Die Lügenpresse entblödet sich täglich mehr", so seine Überschrift.
Schnittstelle in der Werteunion zwischen Libertären, Faschisten und fundamentalen Christen
Die libertäre Bewegung wurde lange als konsequentere Auslegung des Liberalismus verkannt. Krall aber will nichts anderes als einen Umsturz des demokratischen Systems. Wie Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" zeigen, pflegt er schon seit Jahren Kontakte in die Reichsbürger-Szene. Demnach ist er auch mit Prinz Heinrich XIII. Reuß, dem mutmaßlichen Rädelsführer einer militanten Gruppe bekannt, deren Umsturzpläne im Dezember 2022 aufgeflogen waren. Im Zuge der Ermittlungen kam es auch bei Krall zu einer Hausdurchsuchung. Bereits zwei Jahre zuvor soll er für Reuß die Eckpunkte für eine neue "Verfassung für Deutschland" für die Zeit nach dem Umsturz herausgearbeitet haben.
Rücktritte, Distanzierungen, Entlassungen: Diese Folgen hatte das rechte Netzwerktreffen bislang

Der Ökonom dient als verbindendes Element innerhalb der rechtsextremen Szene zwischen libertären, faschistischen und fundamental-christlichen Gruppierungen. Laut Maaßen "überspitzt er ab und an ganz gerne". Wohl so sehr, dass Krall in der Werteunion erst einmal kein Amt zugetraut wird, auch wenn er zentraler Knotenpunkt für extremistische Kräfte außerhalb und innerhalb der baldigen Partei ist. In einem Video auf Youtube erklärte er, er strebe kein Amt in der Partei an. Er könne sich aber durchaus vorstellen, nach der Bundestagswahl 2025 Minister zu werden.