Kritik ist nicht das Schönste für Journalisten, und Lob nicht das Schlimmste. Am besten ist es, wenn wir beides ernten. Dann können wir sicher sein, eine überfällige Debatte ausgelöst zu haben. Uns erreichten enthusiastische Zuschriften zur Titelgeschichte und dem Digitalprojekt "Ich bin eine Quotenfrau". Von Männern und Frauen, Jungen und Alten, von Firmenchefinnen und Altenpflegerinnen. "Ihr seid die Besten!", "Spirit von Sisterhood – das macht richtig Laune", "Weiter so!"
Die kritischen Stimmen: Wirtschaftsliberale lehnen die Einmischung in innerbetriebliche Entscheidungen ab, die eine Quote bedeuten würde. Manche Feministinnen beklagen, nun werde frau doch wieder auf ihr Geschlecht reduziert. Stolze Väter von Töchtern und viele junge Frauen sind sich sicher: So einen Karriere-Turbo wie die Quote braucht keine, die es wirklich draufhat.
Zehntausende Reaktionen, analog und digital. Liebe und Hass. Was lernen wir?
Ein paradoxes Bild
Zuerst und erschreckend: Allein das Fordern von mehr Macht für Frauen ist für manche ein Tabu. Eine der Protagonistinnen aus der Wirtschaft erzählt, wie ein Dax-Vorstand sie anrief. Ein Freund, sagt sie, er habe es gut gemeint: "Du weißt schon, dass du dich gerade nicht bei allen beliebt machst. Hast du keine Angst?" Eine Warnung. Sie habe gesagt: "Ach, mein Lieber. Wovor? Dass mich ein Aufsichtsratsvorsitzender nicht für einen Posten in Betracht ziehen könnte? Dann wäre das Unternehmen nicht der richtige Platz für mich." Zweitens: Der Blick von außen zeigt, dass Deutschland ein paradoxes Bild abgibt. Erstaunt blickten Leser aus dem Ausland auf den stern, auch die französische Zeitung "Le Monde": "Das ist einer der Widersprüche der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl seit 15 Jahren eine Frau an der Spitze steht, liegt das Land eindeutig hinter seinen Nachbarn, wenn es um den Zugang des weiblichen Geschlechts zu verantwortungsvollen Positionen geht."

Drittens: Die Quotendebatte ist eine über Identität. Was ist eine Frau, was ein Mann? Was sind "gute" Rollen? Das geplante Quoten-Gesetz mag am Ende nur für die Spitzen einiger Hundert Unternehmen gelten – das Signal, das davon ausgeht, hat Millionen erreicht. "Ohne das Privileg, ein Mann zu sein, wäre ich nicht, wo ich bin", gibt ein Rechtsanwalt auf Twitter zu – unter dem Schlagwort #Quotenmann, das zum Trend wurde.
Und wie bei allen Reizthemen meldeten sich auch jene Menschen, die statt Reflexion nur Reflexe sprechen lassen. Die uns Journalisten im Allgemeinen und Quotenfrauen im Besonderen auf einem Pipi-Kacka-Vagina-Niveau anpöbeln, weil sie kein einziges Argument haben. Mit denen lohnt keine Debatte. An alle anderen: Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, Teil der Diskussion zu sein. Wir bleiben dran.
Reaktionen zwischen Liebe und Hass
"Mit so viel Aggression hatte ich nicht gerechnet"

Die Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal ist eine der 40 Protagonistinnen des stern-Projekts, die viel Kritik für ihre Teilnahme abbekam. Im Interview erzählt sie, wie sie die Reaktionen erlebt hat.
Frau Tekkal, Sie haben heftige Reaktionen auf Ihre Teilnahme an der stern-Aktion "Ich bin eine Quotenfrau" bekommen. Was war da los?
Auf allen Kanälen ging es ab, auf Facebook, Twitter, Instagram, aber auch am Telefon. Es gab Beschimpfungen, Beleidigungen und Unterstellungen, die weit unter die Gürtellinie gingen, wie etwa: "Früher hat sie beim Escort-Service gearbeitet und ist anschaffen gegangen, und jetzt will sie hier einen auf Quote machen." Oder: "Ich hatte immer Achtung und Respekt vor deiner Leistung, aber jetzt werde ich mich abwenden." Oder: "Wie peinlich ist das denn!"
In Ihrer Arbeit als Menschenrechtsaktivistin sind Sie Anfeindungen gewohnt?
Wenn man sich für Minderheiten engagiert, dann kennt man das, dann ist man auf Gegenwind eingestellt. Aber beim Thema "Frauen in Führung" hatte ich nicht mit so viel Aggression gerechnet, das hat mich echt überrascht. Es zeigt, wie stark sich einige Menschen angegriffen fühlen. Und es zeigt, dass das Thema offenbar einen sehr wunden Punkt getroffen hat.
Wie gehen Sie damit um?
Ich habe mir seit frühester Kindheit eine dicke Hornhaut zugelegt. Vieles perlt an einem ab, manches tut aber doch weh und trifft. Aber zum Glück habe ich auch ganz viel positives Feedback und Unterstützung bekommen, das gibt Kraft, weiterzumachen.