Am Tag, als der neue König die Herrschaft über das Land übernahm, kündigten sich die großen Veränderungen bereits leise an. Mohammed der VI. versprach in seiner ersten Thronrede am 23.Juli 1999, er wolle Marokko mit einer "aktiven Sozialpolitik" regieren. Viele jubelten, doch niemand glaubte ernsthaft daran, dass dieser junge Mann mit akkuratem Haarschnitt und Sonnyboylächeln vier Jahre später tatsächlich die Gesellschaft aufmischen würde. Doch Mohammed VI. wagte etwas, was vorher in Marokko unmöglich schien: Die faktische Gleichstellung von Mann und Frau.
Aufräumen im königlichen Harem
Als eine seiner ersten Amtshandlungen räumte der damals 36-jährige jedoch zunächst im Palast auf: Er entließ den Harem seines soeben verstorbenen Vaters Hassan II., in dem sich neben seiner Mutter und 20 weiteren Gespielinnen sogar noch ein paar gealterte Konkubinen seines Großvaters befanden. Er befahl seiner Autokolonne ganz monarchie-untypisch an roten Ampeln anzuhalten und heiratete 2002 die 24-jährige Salma Bennani. Die ist Informatikerin und verbirgt ihr rot gefärbtes Haar nicht unter einem Schleier, sondern trägt es auf Bildern meist offen zur Schau.
Weil es in der islamischen Kultur keine Königinnen gibt, nannte Mohammed seine Frau "Prinzessin". Das war ein großer Fortschritt: Mohammeds Mutter Latefa war der Bevölkerung lediglich unter dem Namen "Mutter des Prinzen" bekannt.
Mohammeds Modernität machte auch vor der Politik nicht halt. Er feuerte den allmächtigen Innenminister Driss Basri, der fast ein Vierteljahrhundert Polizei, Geheimdienst und die Medien kontrollierte. Er forderte im Ausland lebende Oppositionelle zur Rückkehr nach Marokko auf und setzte eine Kommission für Gleichheit und Versöhnung ein, die die Opfer von politischer Unterdrückung und Folter entschädigen soll. Doch sein größter Coup gelang ihm mit dem "Familienkodex".
Arbeitslosigkeit und Analphabetismus
Die Probleme Marokkos, die Mohammeds Vater Hassan II. in seiner über 30-jährigen Herrschaft mehr schlecht als recht zu lösen versuchte, hießen Arbeitslosigkeit, Armut und Analphabetismus. Bei Mohammeds Amtsantritt lebte die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosenquote war katastrophal hoch und 60 Prozent konnten weder lesen noch schreiben. Woran Hassan II. allerdings gar nicht gedacht hatte, waren die Frauen.
Als sein Sohn 2003 dem Parlament den "Familienkodex" vorstellte, glich das Papier einer Revolution: Mohammed verlangte darin die Erhöhung des Heiratsalters auf 18 Jahre und strikte Auflagen für die Vielehe, wenn er diese schon nicht verbieten konnte. Er beantragte für die Frau den Schutz vor häuslicher Gewalt und ein Recht auf Scheidung, samt der Aufteilung des Sorgerechts - bisher durfte die Ehe nur von dem Mann beendet werden. "Marokkos Zukunft liegt in den Händen der Frau", sagte Mohammed damals. Der König überzeugte selbst die gläubigen Muslime im Parlament, sein Familienkodex wurde angenommen.
Alle Macht den Frauen
Seither hat sich die marokkanische Gesellschaft gewandelt. Auf den Straßen von Rabat sieht man junge selbstbewusste Frauen, die ihren Geschäften nachgehen. Sie arbeiten in den Läden und Hotels, statt sich zu Hause nur um Mann und Mittagessen zu kümmern. Inzwischen sind ein Drittel der Ärzte, ein Fünftel der Ingenieure und ein Viertel der Professoren Frauen. Sie nehmen sich die Freiheit, selbst ein kleines Auto zu besitzen, und auf einen Partner zu warten, der so aufgeklärt ist wie der König selbst.
Salma Benanni hat Mohammed inzwischen einen Sohn geschenkt, was die Popularität des Monarchen noch gesteigert hat. Im vergangenen Februar kam seine erste Tochter Lalla Khadija zur Welt, die vom marokkanischen Volk mit Begeisterung begrüßt wurde. In der Generation der 15- bis 35-Jährigen ist er fast eine Art Superstar, sie nennen ihn liebevoll "M6". Den Männern gefällt vor allem sein Auftreten: Er zeigt sich in der Öffentlichkeit gerne mit Designer-Sonnenbrille, fährt einen Sportwagen und Wasserski. Und lädt Musiker zu seinen Privatkonzerten in seinen Palast, die zu den Idolen junger Marokkaner zählen.
Der König im Herzen
Die Frauen schwärmen eher für ihn wegen seiner Politik: Seit dem Sommer 2005 sind auch Frauen zur Ausbildung des Vorbeters für die Moscheen zugelassen. Und in den Polizeischulen werden Menschenrechte unterrichtet.
Längst ist nicht noch alles perfekt in Marokko. Armut und mangelnde Infrastruktur sind weiterhin die größten Probleme: Jeder fünfte Marokkaner lebt von weniger als einem Euro pro Tag, nur 37 Prozent der Bevölkerung sind mit sauberem Trinkwasser versorgt. Zudem hat M6 mit Terrorismus, Rauschgifthandel und illegaler Einwanderung zu kämpfen. Und wer das nötige Kleingeld hat, kann sich per richterlicher Ausnahmegenehmigung auch heute noch eine Zweitfrau beschaffen - sofern das Einverständnis der Erstgattin vorliegt.
Doch in den letzten acht Jahren ist das Leben für die 30 Millionen Einwohner Marokkos angenehmer geworden. Unter dem Regime von Hassan II. machten sich die Leute gerne heimlich lustig über die Schergen der Geheimpolizei. Heute kreisen die Scherze eher um die Frauenrechte und die damit verbundenen Schwierigkeiten für den Mann. Aber um sein Leben fürchten muss wegen der Witze niemand. "Früher hatten wir Angst vor dem König", sagt ein Marokkaner. "Heute haben wir Angst um den König".