Islam Marokko wagt das Undenkbare

Gleichberechtigung liegt König Mohammed VI. am Herzen. Nun macht er Marokko erneut zum Vorreiter: Er lässt Frauen zu muslimischen Geistlichen ausbilden. Eine Einschränkung müssen die Predigerinnen jedoch in Kauf nehmen.

Der marokkanische König Mohammed VI. hat schon einiges getan, um die Rechte der Frauen zu verbessern. Der 42-jährige Monarch setzte im Familienrecht die Gleichberechtigung durch und sagte der Zwangsehe und Vielweiberei den Kampf an. Nun verhalf der Reformer auf dem Thron dem Königreich zu einer weiteren Neuerung. Das muslimische Marokko lässt als erstes Maghreb-Land Frauen zu Geistlichen ausbilden. Die ersten 50 Predigerinnen erhielten kürzlich ihre Diplome ausgehändigt und geben nun in Moscheen, Schulen und Bildungszentren im ganzen Land Religionsunterricht.

Eines bleibt ihnen allerdings versagt: Sie dürfen nicht das traditionelle Freitagsgebet sprechen. Dies bleibt den Männern vorbehalten. Die Predigerinnen werden daher auch nicht als Imame (Vorbeter) bezeichnet, sondern als "Mourchidates" (Führerinnen). Dass Frauen das Freitagsgebet sprechen, gilt nicht nur in Marokko, sondern auch in weiten Teilen der islamischen Welt als ausgeschlossen.

Imamin lenkt Männer ab

Unvergessen ist der Wirbel, den die Islam-Expertin Amina Wadud vor gut einem Jahr auslöste, als sie in einer Moschee in New York als eine der ersten Frauen vor männlichen und weiblichen Gläubigen das Freitagsgebet leitete. In zahlreichen Ländern erhoben sich Proteste, viele Muslime warfen der Professorin Provokation vor. Der Imam des berühmten Kairoer Islaminstituts Al-Azhar, Scheich Mohammed Said Tantawi, nahm vor allem Anstoß daran, dass eine Frau vor Männern predigte: "Der Anblick einer Imamin lenkt die Männer im Augenblick der Kommunikation mit Gott ab. Die Spiritualität geht verloren."

In Marokko stieß die Ausbildung von Predigerinnen fast überall auf ein positives Echo - von den Frauenverbänden bis hin zu den gemäßigten Islamisten. Die 50 "Mourchidates" waren aus einem Kreis von 1200 Bewerberinnen ausgewählt worden. Sie mussten nicht nur islamisches Recht, sondern auch Fremdsprachen, Psychologie und Informatik büffeln. Die 39-jährige Zhor Bourbach, eine ausgebildete Geologin, umschrieb nach Entgegennahme des Diploms ihre neue Aufgabe: "Wir müssen die Leute nicht allein in Glaubensfragen beraten. Wir müssen ihnen auch helfen, ihre Ehe- und Alltagsprobleme zu lösen."

Beitrag zum Kampf gegen Terrorismus

Marokko verfolgt mit der Ausbildung der Predigerinnen auch ein anspruchsvolles politisches Ziel: Die Verbreitung einer toleranten und modernen Version des Islams soll den rückwärts gewandten Kräften und den Fundamentalisten den Boden entziehen und indirekt zum Kampf gegen den Terrorismus beitragen. "Das Übel des Extremismus lässt sich nicht allein mit repressiven Methoden ausrotten", meint der Politologe und Islamwissenschaftler Ahmed El Yabouri. "Ich habe mit mehreren Führern radikaler Gruppen gesprochen und festgestellt, dass sie vom Islam keine Ahnung haben. Ihre Ignoranz hat sie für den Extremismus anfällig gemacht."

Nach den Anschlägen in Casablanca im Mai 2003 mit 45 Todesopfern entschied Rabat, den Islamisten an den Moscheen nicht länger das Feld zu überlassen. Der Staat kümmert sich nun selbst um die Ausbildung der Geistlichen. Zusammen mit den 50 "Mourchidates" erhielten auch erstmals 150 männliche Imame nach einem vierjährigen Universitätsstudium staatliche Diplome.

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Hubert Kahl/Mouhsine El Hassouni/DPA