Aufstände in Arabien Revolution Vierjahreszeiten

In Ägypten protestieren Tausende, die Regierung bietet ihren Rücktritt an. In Syrien schießt das Regime auf die Menschen. Ist der arabische Frühling bereits in den Herbst übergegangen? Ein Überblick.

Trägt der arabische Frühling nun erste Früchte? Auf den ersten Blick sieht es so aus: In Marokko stimmt das Volk in diesen Tagen über den Reformkurs von König Muhammed VI. ab. In Tunesien tritt die verfassungsgebende Versammlung zusammen. In Libyen stellt sich die neue Regierung vor und Ägypten bereitet sich auf die anstehenden Wahlen vor. Und, ebenfalls in diesen Tagen, endet das Ultimatum der Arabischen Liga an das Assad-Regime, die Gewalt gegen das eigene Volk zu beenden.

Und doch ist von einem arabischen Aufbruch nicht überall viel zu spüren. Denn auf dem Tahrir-Platz in Kairo sammeln sich wieder die Menschen zu Tausenden, um gegen das schleppende Reformtempo des herrschenden Militärrats zu protestieren - der wiederum reagiert so wie sein Vorgänger: mit Tränengas, Gummigeschossen und Knüppeln. Am Montagabend bot die ägyptische Übergangsregierung ihren Rücktritt an. Sie zog damit die Konsequenz aus den seit Freitag andauernden Protesten. Offen blieb jedoch, ob der Militärrat den Rücktritt akzeptieren wird oder nicht. Ein Militärsprecher sagte der regierungsnahen Nachrichtenwebsite "Al-Ahram Online", der Rat habe noch keine Entscheidung gefällt. Angeblich wollen die Generäle erst einen neuen Ministerpräsidenten suchen, bevor sie Scharaf und seine Mannschaft ziehen lassen. Keine Bestätigung gab es für Berichte, wonach der Präsidentschaftskandidat und Friedensnobelpreisträger Mohammed al Baradei für dieses Amt im Gespräch sein soll.

Und in Syrien lässt das Assad-Regime weiterhin auf die eigene Bevölkerung schießen. Bis zu 4000 Menschen hat der dortige Versuch des Aufbruchs bereits das Leben gekostet. Ist aus dem arabischen Frühling schon der arabische Herbst geworden? Ein Überblick.

Ägypten

Der Tahrir-Platz war am 11. Februar 2011 einer der beseeltesten Orte der Welt: An diesem Tag hatte sich das Volk ihres Herrschers Husni Mubarak entledigt. Doch der Armee, die die Macht von ihm übernommen hatte, ist es bislang nicht gelungen, die Ansprüche der Ägypter an ihre neue Führung zu erfüllen. Ab 28. November sollen zwar, wie vom Obersten Militärrat versprochen, freie Wahlen stattfinden - doch die Lage auf dem Tahrir-Platz spitzt sich nun wieder zu, denn die Menschen protestieren gegen die Herrscher und die Herrscher gehen rabiat gegen die Demonstranten vor. Bis zu 33 Menschen sollen in den vergangen Tagen ums Leben gekommen sein. Ein Grund für die Auseinandersetzungen liegt in einigen Details des neuen Verfassungsentwurfs. Danach behält sich die Armee unter anderem vor, einem gewählten Präsidenten ihren Segen zu erteilen. Zudem geht den Menschen die Machtübergabe zu langsam, sie fordern ein Datum für die Präsidentschaftswahlen, die nach ihrer Vorstellung schon im April stattfinden sollen. Amnesty International hat in einem ersten Fazit der Nach-Mubarak-Ära der Militärregierung vorgeworfen, "friedliche Proteste regelmäßig gewaltsam" aufzulösen und die "Tradition der Unterdrückung aus der Mubarak-Ära" fortzusetzen.

Marokko

Marokko ist eines der wenigen arabischen Länder, in denen der arabische Frühling zarte Knospen trägt. Seit 1999 regiert König Muhammed VI. Seine Herrschaft wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, dennoch kommt es immer wieder zu Demonstrationen, die seine in Aussicht gestellten Reformen einfordern. Zuletzt haben am 20. November mehrere tausend Menschen lautstark für einen Boykott der für die fünf Tage später geplanten Wahlen protestiert. Sie befürchten Fälschungen und kritisieren, dass der König weiterhin Oberbefehlshaber der Armee bleiben soll und zudem das letzte Wort in Fragen von Religion und Justiz hat. Muhammed VI. selbst hatte angekündigt, Teile seiner Macht abzugeben. Von dem Urnengang erhofft er sich die Legitimation seines Reformkurses.

Libyen

Libyen ist frei, Oberst Gaddafi ist tot - doch noch steht dem Land die eigentliche Bewährungsprobe bevor: Am 22. November wird der designierte Ministerpräsident Abdurrahim al Keib sein neues Kabinett vorstellen. Der neue Regierungschef selbst ist ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, er war bislang Wissenschaftler und hat die letzten 30 Jahren als Professor für Elektrotechnik gearbeitet. Auf die neuen Herrscher kommen schwierige Zeiten zu: Sie müssen eine völlig neue politische und in Teilen auch wirtschaftliche Infrastruktur aus dem Nichts aufbauen. Zum Test wird dabei auch das Verfahren gegen Saif al Islam Gaddafi werden. Der Sohn des ehemaligen starken Mannes war erst vor wenigen Tagen gefasst worden. Nach Willen der Libyer soll ihm der Prozess in Libyen gemacht werden und nicht, wie eigentlich geplant, am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Neben dem Aufbau eines neuen Staatsgefüges ist das die Hauptherausforderung für die neue Führung des Landes.

Tunesien

Tunesien ist die Keimzelle des arabischen Frühlings - der mit der Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers als Protestakt gegen das damalige Regime von Zine al Abidine Ben Ali begann. Der Machthaber floh nach Massendemonstrationen am 14. Januar 2011 nach Saudi-Arabien. Mittlerweile hat Tunesien eine verfassungsgebende Versammlung gewählt - daraus gingen die gemäßigten Islamisten der Ennahda-Partei als Sieger hervor. Am 22. November tritt die Versammlung erstmals zusammen, die in zwölf Monaten ein Grundgesetz formulieren soll. Dazu hat Wahlsieger Rachid Ghanouchi ein Bündnis aus Säkulären und einer Linkspartei geschmiedet - auch um Bedenken zu zerstreuen, die neue Führung in Tunis werde einen islamistischen Kurs einschlagen. Ennahda aber scheint gespalten zu sein: Während die jetzige Parteielite halbwegs weltlich auftritt, gibt sich die Basis deutlich radikaler. Beobachter glauben deshalb, dass sie nach der ersten Parlamentswahl das Ruder übernehmen könnte und dem Land Richtung Fundamentalismus treibt.

Syrien

Die Töne aus Damaskus erinnern an die letzten Äußerungen des Gaddafi-Regimes aus dem libyschen Tripolis: Die Drohung der Arabischen Liga, Syrien aus dem Bund auszuschließen, wurde als "unrechtmäßig" bezeichnet. Die Lage in dem Land eskaliert von Tag zu Tag mehr: Bei den Protesten, die seit Frühling in allen Teilen Syriens regelmäßig stattfinden, sind bislang zwischen 3500 und 4000 Menschen ums Leben gekommen. Und ein Ende des Blutvergießens ist noch nicht absehbar: Gerüchten zufolge sollen Regierungstruppen einen Einsatz gegen die Opposition mit den Codenamen "Jüngstes Gericht" vorbereiten. Laut eines Sprechers der Demonstranten, sieht der Plan vor, dass die Sicherheitskräfte Chaos stiften und Attentate verüben, um dann mit aller Härte gegen die Regimegegner vorzugehen. Anders als im Fall des Aufstandes in Libyen, kann sich die internationale Gemeinschaft nicht auf ein Vorgehen gegen Syrien einigen. Präsident Baschar al Assad jedenfalls hat angekündigt, sich auf keinen Fall internationalem Druck beugen zu wollen. Er sei im Falle einer ausländischen Militärintervention bereit zu kämpfen und zu sterben, sagte er der britischen Zeitung "The Sunday Times".

So unterschiedlich sich die Umbrüche in den einzelnen Ländern vollzogen haben, so unterschiedlich sehen auch die ersten Resultate aus:

  • In Marokko, mit seiner Revolution-light, kann sich König Mohammed VI. immer noch nicht durchringen, dem Volk zu viele Reformen zuzugestehen - hier ist der arabische Frühling bereits den Spätsommer übergangen.
  • Die Tunesier, mit ihrer Express-Revolution, haben einen Plan gemacht, den sie nun mit Zeit und Geduld abarbeiten. Es herrscht eindeutig noch Frühsommer.
  • Die Blut-Revolution in Libyen steht noch völlig am Anfang - hier hat der Frühling gerade erst begonnen
  • Die ägyptische Zorn-Revolution beginnt bereits ihre Kinder zu fressen - der arabische Frühling ist in den arabischen Herbst übergegangen.
  • In Syrien ist noch überhaupt nicht absehbar, ob aus dem Aufstand eine Revolution wird oder er sich nicht doch zu einem Bürgerkrieg entwickelt. Bislang herrscht noch Winter in Syrien.