Tag 7 - An den Wasserfällen von Khon Hexenkessel

Von Helge Bendl
An den Khon-Wasserfällen scheiterte einst der Traum, den Mekong als Handelsstraße nach China nutzen zu können. Auch heute bezwingt sie kein Schiff. Wir aber haben einen Kran.

Ob es das Licht ist, das einen mitten in der Nacht aufgeweckt hat, oder eher das seltsame Geräusch in einer sonst so stillen Nacht? Am Himmel leuchten die Sterne derart hell und beleuchten den Fluss, dass man glaubt, bald gehe die Sonne auf. Hätte man statt der zehn Bücher über den Mekong die irgendwo bei den anderen Schulreliquien im Keller lagernde Karte aus der Astronomie-AG dabei, dann müsste man auf der Expedition nicht nur weniger Gepäck schleppen, sondern hätte nun, leider ist man ja wach, auch eine Beschäftigung. Doch während man versucht, sich wenigstens an ein paar Namen der vielen Sterne zu erinnern, hört man es wieder, nur viel deutlicher als vorhin, als man noch im Halbschlaf vor sich hinträumte. Ein Boot. Mit tuckerndem Motor. Nachts um Drei auf dem Mekong, auf dem man hier, im vergessen Teil Kambodschas, tagsüber vielleicht alle halbe Stunde mal einen Fischer sieht, und die haben meistens nicht das Geld für einen Motor. Der schwarze Schatten auf dem Wasser wird zum Einbaum mit Außenborder und legt genau an der Stelle an, an der wir auch unsere Boote festgebunden haben. Eine Taschenlampe blitzt auf und ein Mann mit einem Säckchen über der Schulter steigt die Uferböschung hinauf. Ein paar Minuten später kommt er zurück, mit dem gleichen Säckchen über der Schulter, leuchtet uns mit der Lampe ins Gesicht, murmelt etwas Unverständliches und legt wieder ab. Als wir aufstehen, kurz vor Sonnenaufgang, fragen wir uns: Was wird hier geschmuggelt? Drogen? In so kleinen Mengen? Und für wen sind sie in dieser menschenleeren Region denn bestimmt?

Im Schritttempo nach Laos

Nach der zwar schönen, aber doch recht unbequemen Nacht auf den Booten müssen wir nun schnell zur kambodschanisch-laotischen Grenze. Dort sind schon die anderen Teilnehmer der Mekong-Expedition, seit gestern das Getriebe des einen Motors ausgefallen ist und ein paar Speedboote sie in ein Hotel gebracht haben. Für die 30 Kilometer brauchen wir vier Stunden, und dass wir die Grenze erreichen, hat auch mit Glück zu tun: Es ist nur noch wenig Benzin im Tank. Die letzte halbe Stunde müssen wir ständig von Hand pumpen, damit der Motor genügend Treibstoff bekommt.Auf der linken Flussseite ist Kambodscha, rechts ist Laos - und eine Tankstelle. Während ein paar Jungs ein Fass Benzin zum Fluss rollen und den Tank füllen, kommt die große Stunde von Armin Schoch, dem Logistiker der Expedition. Weil er es für unmöglich hält, die nahen Khon-Wasserfälle mit dem Schlauchboot zu bezwingen, hat er einen Kran und zwei Laster bestellt. Die mit Treibstoff und Gepäck gut 1,5 Tonnen schweren RIBs werden von Männern, die ihr Handwerk offensichtlich verstehen, auf die beiden Trucks verladen. Das intakte Boot wird am Abend ein paar Kilometer weiter nördlich, oberhalb der Wasserfälle, wieder in den Fluss gehievt werden. Das zweite Boot mit dem defekten Motor geht auf dem Laster direkt nach Pakxe, einer Stadt in der Nähe der Grenze zu Thailand. Über eine der wenigen Mekong-Brücken soll dort in der Nacht ein Ersatz-Getriebe ankommen.Das Verladen mit Kran und Laster ist für das Dörfchen Veun Khan ein spektakuläres Ereignis mit gut hundert Zuschauern, doch nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Die Fischer des Ortes freuen sich: Sie haben nun einen einfacheren Zugang zum Wasser und können ihre Beute leichter ausladen. Denn die Rampe zum Fluss hat Armin Schoch auch bauen lassen - der Kran hätte sonst nicht bis zum Ufer fahren können… Armin dürfe gerne nächstes Jahr mit einem Bagger wieder kommen, lässt der Chief des Dorfes ausrichten - dann sei die Straße nach der Regenzeit nämlich vermutlich wieder weggewaschen.

Niagara in Südostasien

Heute starten von diesem Dorf Boote, um Touristen zu den Guest Houses an den berühmten Khon-Fällen zu fahren. Was die französische Mekong-Expedition hier vor rund 150 Jahren zu sehen erwartete, ist unklar. Von einem Wasserfall hatte man in Saigon nämlich schon gehört, als die Männer dort im Juni 1866 aufgebrochen waren, um den Fluss zu erkunden. Es gab Gerüchte von einem "Niagara in Südostasien" - doch wie passen diese Information mit dem Wunsch zusammen, den 4500 Kilometer langen Mekong als Handelsstraße nach China nützen zu wollen? Vielleicht hofften die Forscher, eine versteckte Passage zu finden, um Silber und Seide vom Reich der Mitte in den Süden transportieren zu können. Zweieinhalb Monate nach dem Start in Saigon waren die 20 Männer dort angelangt, wo heute die Grenze zwischen Kambodscha und Laos verläuft. Hektisch sprangen sie auf, als der Expeditionszeichner Louis Delaporte in der Ferne das Geräusch von brausendem Wasser hörte. Erst ein paar Tage früher hatten die Abenteurer eine Flutwelle mit vier Meter hohen Wellen nur mit viel Glück überlebt. Die einheimischen Führer konnten die Abenteurer indes beruhigen. Louis Delaporte notierte später voller Ehrfurcht in sein Tagebuch: "Es war der Klang der Wasserfälle von Khon. Eines der größten Wunder, die man als Reisender sehen kann und seit Monaten das Ziel unserer Reise."

Ein unüberwindbares Hindernis für Boote

Fast 15 Kilometer ist der Mekong hier breit, hunderte von bewohnten großen und kleinen Inseln teilen den Strom. Dann schießt das Wasser mit einem dumpfen Grollen in die Tiefe, gegen das man anschreien muss. Guides preisen die Sehenswürdigkeit als die "Niagara-Fälle Südostasiens" an, doch die Khon-Wasserfälle sind von einem anderen Kaliber. Das Wasser fällt zwar weniger hoch, aber die Fälle sind breiter und der Fluss drückt schneller durch die Gesteinsschluchten und scharfkantigen Felsen. Nichts mehr ist zu sehen von dem Braun, das den Mekong sonst ausmacht - hier ist alles weiß von der Gischt. Nur ein paar Fischer wagen sich zu Fuß in den Hexenkessel der Kaskaden. Kein Wunder, dass man den Mekong als den wildesten der zehn größten Flüsse der Erde bezeichnet hat.Dieses spektakuläre Hindernis könnten unsere Schlauchboote wirklich nicht überwinden. Die Franzosen mussten sich 1866 bei ihrer Mekong-Expedition für ihre Boote das Gleiche eingestehen. Waren sie noch aufgebrochen, um zu erkunden, ob der Fluss als Handelsstraße nach China geeignet sein könnte, wandten sie sich nach den Khon-Fällen eher der Erforschung und Vermessung der "Mutter aller Wasser" zu. Ihre Notizen über die Khon-Fälle sind ungewöhnlich spärlich - vielleicht, weil es den Männern peinlich war, dass sie Hindernis zu Fuß umgehen mussten, weil es einfach keine geeignete Passage gab.Inzwischen haben ein paar Abenteurer die Khon-Fälle zwar mit Barken und Kayaks bezwungen. Doch wer ihre Berichte genau liest, wird feststellen, dass sie den größten Strudeln immer ausgewichen sind und versucht haben, eine Route durch die Welt der vielen Inseln und Wasserfälle zu finden, bei der das Wasser nicht ganz so stürmisch nach Süden drängt. Schiffe haben immer noch keine Chance, und so hat man die Idee, den Fluss als Transportroute zu nutzen, längst aufgegeben. Wer sich heute in den äußersten Südosten von Laos verirrt, ist Tourist und will nur noch den Fluss genießen. Wie schrieb Louis Delaporte in sein Tagebuch: "Alles in dieser gigantischen Landschaft atmet Kraft."

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