Ein Fall, wie ihn Tausende in diesen Tagen erleben: Alexandra B. hatte bei Condor einen Hin- und Rückflug nach Palma gebucht, der aufgrund der weltweit gültigen Reisewarnung des Außenministeriums abgesagt wurde. Doch ihren vorausbezahlten Flugpreis hat sie bis heute nicht zurückerhalten.
Wenn sie das Callcenter anruft, werde sie "immer wieder abgewimmelt und weitergereicht", schreibt sie in einer E-Mail an den stern. Inzwischen hat sie mehr als 15 E-Mails an den Ferienflieger geschrieben – ohne dass eine Rücküberweisung auf ihr Bankkonto erfolgte.
Dabei besagt das geltende Recht, dass Flugreisende Anspruch auf die "vollständige Erstattung der Flugscheinkosten" innerhalb von " sieben Tagen" haben, "zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde", so heißt es im Artikel 8 der EU-Verordnung Nr. 261/2004.
Bis zur Coronakrise funktionierte diese Regelung. Aber bereits in der zweiten Märzhälfte hatte die Lufthansa auf ihrer Homepage die Erstattungsfunktion per Mausklick abgeschaltet und Reisebüros in einem Schreiben informiert. "Die Erstattungsmöglichkeiten für Tickets der Lufthansa Group Airlines wurden vorübergehend in den Reservierungssystemen sowie auf den Webseiten der Airlines angepasst. Bereits eingereichte Refunds werden mit Verzögerung bearbeitet."
Ein Virus kann Rechte nicht außer Kraft setzen
Bald zogen große und kleine Fluglinien nach und setzten das Erstattungssystem außer Kraft. Dann begann in Berlin und Brüssel eine wochenlange Lobby-Arbeit großer Firmen, um stattdessen Zwangsgutscheine einzuführen. Es war der Versuch, die gängige Praxis zu legalisieren und der Airline-Industrie Liquidität zu verschaffen.
Denn nicht nur der Flugverkehr ist durch die Coronakrise zum Erliegen gekommen, sondern auch die Zahl der Neubuchungen. Auf der Hauptversammlung der Lufthansa in dieser Woche nannte Michael Niggemann, der neue Vorstand für die Bereiche Personal, Recht, Merger & Acquisitions, die theoretische Summe der Forderungen, die auf die Airline zukomme: "Aus den bis 31. Mai gestrichenen Flügen ergeben sich potenzielle Rückzahlungsverpflichtungen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro." Aber durch die Gutschriften, bereits ausgestellte Gutscheine und flexible Umbuchungsmöglichkeiten dürfte das Volumen unterm Strich bedeutend geringer sein.
Bekanntlich haben sich die deutschen Lobbyisten mit ihrer ausschließlichen Gutscheinlösung in Brüssel nicht durchsetzen können. EU-Verkehrskommissarin Adina Valean machte abermals deutlich, dass Fluggäste eine solche Regelung nicht akzeptieren müssen und auf eine Rückerstattung der Kosten bestehen können.
Fehlende Solidarität mit den Airlines?
Noch ist der Erstattungsprozess nicht wieder in Gang gekommen. "Es kann nicht sein, dass Airlines die Rechte brechen, indem sie nicht zurückzahlen, aber auf der anderen Seite Geld vom Staat fordern", sagte Josef Peterleithner, der Präsident vom Österreichischen Reiseverband auf einer eNetworking-Veranstaltung des Travel Industry Clubs am 6. Mai.
Wenig Verständnis haben auch Reiseveranstalter und Reisebüros, die – de facto unentgeltlich – die Kunden über die abgesagten Flüge und Reisen informieren müssen. Die Airlines dagegen beklagen jetzt sogar die fehlende Solidarität in der Krise.
Für den Luftfahrrechlter Ronald Schmid ist der Kunde bei den Airlines schon lange nicht mehr König, wenn es um Fluggastrechte geht. "Die Fluggäste, die wegen Verspätungen und Annullierungen von Flügen berechtigte Ansprüche auf eine Ausgleichsleistung geltend machen wollten, wurden mit fragwürdigen Begründungen verunsichert, um sie zu entmutigen, die Ansprüche gerichtlich durchzusetzen", sagt der Rechtsanwalt.
Die Luftfahrtunternehmen hätten noch vor Kurzem in Brüssel "intensiv versucht, die bestehenden Rechte von Fluggästen aus der sogenannten Fluggastrechte-Verordnung massiv zu beschneiden."
Schwierig ist auch die Situation für Flugreisende, die ihren stornierten Flug nicht direkt bei einer Airline, sondern bei einem Reisevermittler, sei es über ein Reisebüro, einen Veranstalter oder ein Online-Buchungsportal, erworben haben.
Dem stern liegen mehrere Fallschilderung von Lesern vor, in denen die Vermittler auf die Drittunternehmen - sprich Airlines - für die Rückerstattungen verweisen. Es gibt Vorgänge, in denen die Fluggesellschaft eine Rückerstattung genehmigt hat, diese aber vom Reisevermittler nicht ausgezahlt wird.
Experten rechnen mit einer Zeitspanne von sechs Monaten
Der Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR), unter dessen Dach 90 Online-Travel-Agencies, Veranstalter und Technologie-Anbieter vertreten sind, kritisiert ebenso die Haltung der Airlines in puncto Erstattung von Ticketkosten. Vertriebspartner können nicht tätig werden, weil Airlines die Refund-Funktion in ihren Systemen gesperrt haben.
Der VIR-Vorstand fordert die Fluggesellschaften dazu auf, "ihre Systeme umgehend wieder hochzufahren und dem Vertrieb verfügbar zu machen." Außerdem gebe es kaum Informationen, "ob und wann mit einer Erstattung zu rechnen ist.“ Experten rechnen mit einer Zeitspanne von bis zu sechs Monaten.
Für die Kunden, die im Moment den Airlines einen zinslosen Kredit gewähren, bleibt nur der aufreibende Weg, hartnäckig zu blieben, für die Rückerstattung schriftlich eine Frist zu setzen und anschließend einen Anwalt einzuschalten – in der Hoffnung, dass die zu beklagende Fluggesellschaft noch keine Insolvenz erklärt hat, wenn es zum Gerichtstermin kommt.
Quellen: Travel Industry Club, Verband Internet reisevertrieb e.V., www.ronald-schmid.de
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