In der Theorie könnte es eine ziemlich kurze Meldung sein: Aaron Rodgers, der Star-Quarterback der Green Bay Packers, hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Er befindet sich in Quarantäne, sein Team musste bei den Kansas City Chiefs ohne ihn antreten. Sein Stellvertreter Jordan Love fand keinerlei spielerische Mittel – weshalb die Mannschaft aus Wisconsin nach sechs Siegen in Serie am Sonntag eine 7:13-Niederlage einstecken musste.
In der Praxis hingegen geht es um weit mehr als eine Coronainfektion eines Spielers und eine Niederlage eines Footballteams. Es geht um das Verhalten eines der größten Sportstars der USA inmitten einer Pandemie. In den USA tobt seit Tagen eine Diskussion, die die Debatten um Joshua Kimmich in Deutschland um ein Vielfaches übertrifft.
Los ging es mit der offiziellen Information, dass Rodgers an Corona erkrankt ist. So weit, so normal. Gleichzeitig setzte sein Verein ihn auf die Liste der ungeimpften NFL-Spieler. Und damit begann die Aufregung. Denn: Rodgers galt bis dahin in der Öffentlichkeit als geimpft. Das ist auch deshalb wichtig, weil die NFL klare Vorgaben formuliert hat: Die Liga verpflichtet ihre Spieler nicht zur Impfung, hat aber eine Reihe von Regeln für Ungeimpfte aufgestellt. Von der Maskenpflicht bei Pressekonferenzen über eine Hotelausgangssperre bei Auswärtsspielen bis hin zu einer regelmäßigen Testverpflichtung.
NFL mit strikten Corona-Regeln
Roger Goodell, der Geschäftsführer der Liga, hatte im Sommer unmissverständlich kommuniziert, dass die Teams selbst dafür verantwortlich seien, die Regeln einzuhalten: "Jeder Klub ist dazu verpflichtet, zum geplanten Termin und am geplanten Ort mit seiner Mannschaft anzutreten", sagte er damals. Und kommunizierte, dass Teams, die coronabedingt nicht antreten können, ihre Spiele am Grünen Tisch verlieren würden. Parallel dazu wurde bekannt, dass Spielern anteilig Gehalt abgezogen wird, wenn sie Partien verpassen.
Das Problem ist: Rodgers hielt sich nicht an all diese Regeln. Was in der Öffentlichkeit nicht für Aufsehen sorgte, nachdem er vor einigen Wochen ein Interview gegeben hatte. Auf die Frage nach seinem Impfstatus antwortete er, dass er "immunisiert" sei. Sämtliche Beobachter werteten diese Aussage als ein klares Ja – ein Trugschluss. Denn nun wurde bekannt: Rodgers ist ungeimpft, er unterzog sich stattdessen einer alternativen Behandlung, wie er sagt unter anderem bestehend aus Zink, Vitamin C und einem Mittel, das primär gegen Wurmbefall eingesetzt wird. Zudem sei er homöopathisch behandelt worden.
Rodgers brach Ende der vergangenen Woche im Podcast des ehemaligen NFL-Profis Pat McAfee sein Schweigen und betonte, nicht gelogen zu haben. Mehr noch: Er habe die NFL über sein Vorgehen informiert und beantragt, wie ein geimpfter Spieler behandelt zu werden. Doch die Liga habe seinen Antrag abgelehnt. Was wiederum die Verantwortlichen in Bedrängnis bringt, denn: Wenn sie von Rodgers Vorgehen wussten, warum zwangen sie ihn dann nicht, die Regeln für Ungeimpfte einzuhalten?
Aaron Rodgers ignorierte bewusst die Vorschriften
Rodgers macht keinen Hehl daraus, die Vorschriften der Liga ganz bewusst missachtet zu haben: "Diese Maßnahmen haben meiner Meinung nach nichts Wissenschaftliches an sich, sie dienen nur der Bloßstellung." Rodgers reihte sich in die länger werdende Liste jener ein, die betonen, keine Impfgegner zu sein, während sie erläutern, warum sie für sich persönlich gegen eine Impfung sind. Er sprach von einer Angst, zeugungsunfähig zu werden, während er aktuell mit seiner Partnerin Nachwuchs plane; er zürnte über eine "Hexenjagd" gegen Ungeimpfte; und berichtete, dass er gegen die meisten Impfstoffe aufgrund eines verwendeten Wirkstoffs allergisch sei, weshalb für ihn ohnehin nur das Präparat von "Johnson & Johnson" in Frage gekommen wäre – gegen das er sich dann allerdings ganz bewusst entschieden habe. Seine Aussagen waren ein bunter Mix, der nur schwer zu umschreiben ist. Denn auf der einen Seite wirkte Rodgers durchaus reflektiert und gesprächsbereit, auf der anderen Seite verbreitete er krude Aussagen, die man sonst nur aus der Ecke von Verschwörungstheoretikern kennt.

Prevea Health, ein Gesundheitsunternehmen aus Wisconsin, hat in der Zwischenzeit Konsequenzen gezogen und die Werbepartnerschaft mit Rodgers gekündigt. Die Liga ihrerseits kündigte vergangene Woche Untersuchungen wegen der Missachtung der Coronaregeln für Ungeimpfte an. Aktuell deutet noch nichts darauf hin, dass der Fall Aaron Rodgers schon bald abgeschlossen sein könnte. Was nichts daran ändert, dass die Green Bay Packers auf die Rückkehr zur sportlichen Normalität hoffen: Spätestens gegen die Los Angeles Rams in zwei Wochen, vielleicht schon gegen die Seattle Seahawks am Wochenende soll der Quarterback wieder auf dem Feld stehen.
Denn einer der besten Spieler der Liga bleibt er selbstredend. Nur die Rolle als Vorbild scheint Rodgers verloren zu haben. Er selbst mag betonen, nicht gelogen zu haben; doch Fakt ist zumindest, dass er Teile der Wahrheit bewusst in einem Interview verschwieg und gleichzeitig Corona-Regeln missachtet hat. Womit er sich selbst vielleicht nicht als Lügner, aber zumindest als Schwindler entlarvt hat.