Es ist kurz nach 16 Uhr Ortszeit in Los Angeles, als Mila Kunis über den roten Teppich trippelt, die schnuckelige Brünette, die Natalie Portman als Ballerina in "Black Swan" Konkurrenz macht. Mila Kunis trägt zartes Blau, ein Kleid, das tief dekolletiert ist und teils transparent. Es sei von Elie Saab, erzählt sie, dann schiebt sie sich für die Fotografen in Pose. Kunis ist ohne männliche Begleitung unterwegs, obwohl sie vor drei Tagen auf einer dieser "Pre-Oscar-Partys" noch schwer mit Aaron Rodgers geflirtet hat, dem Quarterback der Green Bay Packers, die Anfang Februar den Super Bowl gewonnen haben, das Meisterschaftsfinale im American Football. Aaron Rodgers hätte ziemlich gut hierher gepasst, "denn die Oscars", bemerkt der Schauspieler Jesse Eisenberg, der im schwarzen Anzug aufläuft und ein bisschen O-beinig, "sind ja so etwas wie unsere Super Bowl".
So gesehen findet an diesem Sonntag das Endspiel der amerikanischen Schauspiel-Saison 2010 statt: die 83. Verleihung der Oscars, die im Kodak Theatre am Hollywood Boulevard vergeben werden. Jesse Eisenberg ist in der Kategorie "Bester Hauptdarsteller" nominiert, für seine Rolle in "The Social Network", wo er den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mimt. Doch er hat einen harten Gegner: Colin Firth, der als stotternder König George VI. von England in "The King’s Speech" preisverdächtig gut ist und als klarer Oscar-Favorit gilt. Bei den Experten und bei James Franco, der sagt, dass der Kollege Firth "heute gewinnt", da sei er sich ganz, ganz sicher. Doch wird auch "The King's Speech" gekrönt? Das Werk ist für zwölf Preise vorgeschlagen, unter anderem als bester Film.
Der Alleskönner James Franco
Erst einmal aber regiert James Franco: Er ist ebenfalls nominiert, für seine Rolle in "127 Hours", und er moderiert die Veranstaltung. James Franco kann ja irgendwie alles: Er ist Schauspieler, Buchautor und Künstler, er studiert Literatur in Yale und eröffnet in diesen Tagen eine Bar in Los Angeles, "The Writer's Room", wo er heute Nacht noch eine "After-After-After-After-Party" schmeißen wird, wie Franco sagt. Mit diesem Grinsen, mit dem er auch Anne Hathaway begegnet, seiner Co-Moderatorin.
Es ist kurz nach 17:30 Uhr Ortszeit, als die beiden die Bühne betreten, er im schwarzen Smoking, sie im trägerlosen, weißen Kleid, das silbern bestickt ist und funkelt. Hathaway liegt damit hübsch im Trend: Ob Nicole Kidman, Penelope Cruz, Amy Adams oder Halle Berry – alle tragen sie Roben mit glänzenden Steinchen darauf. Ebenfalls sehr angesagt: Transparenz im Dekolletée-Bereich. Scarlett Johansson oder Hailee Seinfeld tragen Stoffe, die nach oben hin durchsichtig werden. Die meisten Damen aber tragen oben herum gar nichts: Der Hit des Abends sind trägerlose Entwürfe, Corsagenkleider, wie sie an Sandra Bullock (in quietschrot), Reese Witherspoon (in tiefschwarz) oder Hilary Swank (in silbermetallic) zu sehen sind. "Wow", sagt denn auch James Franco, 32, als er das Publikum begrüßt. "Hallo", schiebt Anne Hathaway, 28, hinterher, die durchaus komödiantisches Talent hat und ihr hübsches Gesicht zu einer prächtigen Miss-Piggy-Schnute verziehen kann.
Jünger als sie war noch kein "Host", kein Gastgeber der Oscars, und es wurde darum viel darüber geschrieben, was die Academy of Motion Picture Arts And Sciences, die die Oscars vergibt, mit diesen beiden Ansagern bezweckt: Sie will ein junges Publikum zurückgewinnen, dass sich zuletzt immer mehr von den Oscars entfernte. "Du siehst sehr hip aus!", sagt deshalb James Franco mit Blick auf Anne Hathaway. "Und du schaust auch so aus, als könntest du der werberelevanten Zielgruppe gefallen", antwortet sie. Hihi!
Das F-Word
Selbstironie ist das Motto des Abends, das aber nicht immer aufgeht. "Man hat uns gesagt, falls wir gewinnen, dann sollen wir die Dankesliste kurz halten und lieber etwas lustiges erzählen", verrät Lisa Cholodenko, die Regisseurin, deren Werk "The Kids Are All Right" unter anderem als bester Film nominiert ist. Aber dann halten sie doch wieder alle die üblichen Reden: Ich danke meinen Eltern und meinen Freunden und dem Regisseur und dem Produzenten und natürlich meinen Kollegen, dem fabelhaften Soundso und der grandiosen Bladibla, ohne die ich hier heute nicht stehen würde.
Melissa Leo, die den Oscar als beste weibliche Nebendarstellerin in "The Fighter" gewinnt, schiebt wenigstens ein F-Wort ein: "Fuckin' easy" sei es nicht, hier zu sprechen, sagt sie, aber das ist im amerikanischen Fernsehen natürlich nicht zu hören: Für eine Sekunde ist die Oscar-Verleihung tonlos.
Christian Bale, der dann den Oscar als bester männlicher Nebendarstellerinn in "The Fighter" gewinnt, sagt nur "Bloody Hell!" – und dann lacht er: "Ich spare mir die Wörter mit dem F", so Bale, "dafür ist heute Melissa zuständig." Und dann dankt er ganz lieb seinen Eltern und seinen Freunden und dem Regisseur und dem Produzenten und natürlich seinen Kollegen, der fabelhaften Melissa und dem grandiosen Mark Wahlberg, der "The Fighter" initiiert und produziert hat.
Zwischendrin turnt Anne Hathaway im Smoking über die Bühne, sehr männlich, und James Franco erscheint als Marilyn Monroe - im pinkfarbenen Trägerlosen und mit platinblonder Perücke. Hihihi! Und "The Social Network" gewinnt drei Preise, unter anderem für das beste adaptierte Drehbuch. Besser schneidet der Thriller "Inception" ab, der insgesamt vier Oscars erhält, etwa für den besten Soundmix und den besten Soundschnitt. Und dann ist es Zeit für ein Loblied auf die Rede des Königs.
King Firth und Königin Portman
Es ist kurz nach 20 Uhr in Los Angeles, als Tom Hooper auf die Bühne gerufen wird, der Regisseur von "The King's Speech" der soeben den Oscar für die beste Regie gewonnen hat. Willkommen in Königskategorie eins. Hooper, ein Typ mit Steffi Graf-Nase und englisch-australischem Akzent, dankt seinen "wonderful actors", unter anderem Colin Firth, der sich aber noch eine Kategorie gedulden muss, ehe er auch ein paar Worte sprechen darf. Erst einmal wird Natalie Portman zur Queen gekürt.
Sie gewinnt den Preis als beste Hauptdarstellerin in "Black Swan". Sie trägt nicht schwarz, sie ist in Violett am Start, mit einem schön schwangeren Ausschnitt: Im Juni soll ihr erstes Kind zur Welt kommen, ihr Babybauch zeichnet sich unter ihrem Kleid ab. Sie dankt ebenfalls Gott und der Schauspielwelt, schiebt am Ende aber noch hinterher, dass ihr "Liebster", der Balletttänzer Benjamin Millepied, "der unseren Film choreographiert hat", ihr nun die wichtigste Rolle ihres Lebens gegeben habe: die Rolle einer Mutter.
Und dann erscheint Sandra Bullock auf der Bühne, die den besten Hauptdarsteller ehren soll. Ihr Näschen erscheint einen Millimeter kleiner als noch vor einem Jahr, als Bullock als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in "The Blind Side" gekürt wurde. Dafür zeichnet sie großherzig Colin Firth aus, für seinen Part in "The King's Speech", und Firth tritt neben sie und dankt mit britischem Understatement: "Ich habe das Gefühl, dass meine Karriere gerade ihren Höhepunkt erreicht hat."
Doch das ist nur halb richtig, denn dann wird die Rede des Königs noch zum besten Film gekürt, von Steven Spielberg, der den Laudator in dieser Kategorie gibt. Und dann springen sie alle auf, die schon Ausgezeichneten, der Regisseur und der Produzent, der "unserem Schauspiel-Adel" dankt, Colin Firth, der aus der Kulisse hervorkommt und lächelt. Und dann danken Anne Hathaway und James Franco für einen Abend, den sie "amazing" fanden, ganz fabelhaft, und dann wird gefeiert - in diesem Jahr tatsächlich königlich.