Matthias Sammer zeigte sich im Gegensatz zu den Spielern auf dem Platz in Hochform. Der Schlusspfiff des spanischen Schiedsrichters Jesus Gil Manzano im Prinzenpark-Stadion lag nicht lange zurück, da setzte der offizielle Berater von Borussia Dortmund zu einer Tirade über den Unparteiischen an. In der Expertenrunde des übertragenden Senders Amazon Prime wetterte Sammer über die "totale Fehlentscheidung" des Schiedsrichters kurz nach Wiederanpfiff. Manzano hatte ein Handspiel von BVB-Verteidiger Niklas Süle im Strafraum gepfiffen, den fälligen Strafstoß verwandelte Kylian Mbappé zur 1:0-Führung sicher.
Sammer sah in der Entscheidung – zumindest vermittelte er das den TV-Zuschauern – den wahren Grund für die 0:2-Niederlage der Dortmunder. "Doch, wenn Du gegen Paris spielst, ist das 1:0 sehr entscheidend", analysierte Sammer in einem Sound, in dem sich Sammer-typisch ein leicht beleidigter Ton mit Empörung mischte. Ganz nebenbei gab er zu, dass "PSG besser als Dortmund war, ist klar".
Sammers Tirade macht deutlich: BVB hat ein Problem
Dass Sammers Urteil über den Handelfmeter möglicherweise subjektiv eingefärbt war, belegt ein Urteil des ehemaligen DFB-Schiedsrichters Thorsten Kinhöfer, der für die "Bild"-Zeitung strittige Entscheidungen bewertet: "Die Auslegung entspricht den Vorgaben der Uefa. Deshalb hat der Schiedsrichter alles richtig gemacht. (...)." Kinhöfer fügte aber an, dass solche Entscheidungen nicht im "Sinne des Fußballs" seien. Das kann man natürlich als Zugeständnis an verärgerte BVB-Fans und die allgemeine Wut verstehen, die regelmäßig wegen Handspiel-Entscheidungen hochkocht.
Der eigentliche Zweck von Sammers Tirade über eitle und fehlgeleitete Schiedsrichter ("Sie stolzieren") war möglicherweise ein anderer: eine Nebelkerze zünden und von den wahren Problemen der Mannschaft ablenken. Die Niederlage in Paris machte deutlich, dass eine wachsende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim BVB besteht. Wie schon beim durchwachsenen Start in die Bundesliga wirkte das Team zum Auftakt der Champions League verunsichert. Sammer gab immerhin zu, dass das "ganz schlechte Signale" seien, die insbesondere von der schwachen Offensive an diesem Abend in Paris ausgingen.
Trainer Edin Terzic setzte gegen PSG auf eine defensive Ausrichtung, im Angriff ließ er Karim Adeyemi und Donyell Malen ran. Das ging gründlich schief. Die Taktik mit drei Innenverteidigern, einer Fünferkette und ohne zentralen Stürmer lähmte die Mannschaft offenbar eher. Der BVB nutzte die offenen Räume nicht aus, die Paris bot. Stattdessen produzierten die Dortmunder im Spiel nach vorne einen Fehlpass nach dem anderen. Erst als Terzic Marco Reus, Niclas Füllkrug und Jamie Bynoe-Gittens brachte, wurde es etwas besser. Echte Gefahr für das Pariser Tor kam aber nur einmal auf, als Bynoe-Gittens einen Distanzschuss an den Außenpfosten setzte. Terzic wird sich nach dem missglückten Champions-League-Auftakt die defensive Taktik vorwerfen lassen müssen. "Wir sind sehr viel hinter dem Ball hergelaufen", beklagte Emre Can.
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In dieser Form hat der BVB in der Champions League keine Chance
In dieser Form hat Dortmund in der anspruchsvollen Gruppe mit PSG, Milan und Newcastle United keine Überlebenschance, und auch in der Bundesliga dürfte es Probleme geben, wenn der Coach die offensichtlichen Probleme nicht in den Griff kriegt. Sportdirektor Sebastian Kehl sah nach der Partie gegen PSG "zu viel Larifari" bei den Spielern und damit ein Einstellungsproblem. In der Liga führte die Schluffi-Einstellung zu Unentschieden gegen den VfL Bochum und den 1. FC Heidenheim. Ein Grund für das "Larifari" ließ sich in Paris beobachten: Die BVB-Profis ließen es an gegenseitiger Unterstützung missen.
Auch die Probleme in der Offensive sind offensichtlich. Von allen Angreifern hat bisher nur Donyell Malen getroffen, immerhin drei Mal. Sébastien Haller, Niclas Füllkrug, Youssoufa Moukoko und Karim Adeyemi sind bislang ohne Treffer in der Bundesliga. Nur Marco Reus traf als Ersatzspieler einmal zum 4:2 gegen zehn Freiburger in der Schlussphase.
Möglicherweise wird sich auch Kehl demnächst Kritik anhören müssen. Besonders die Abgänge von Jude Bellingham (zu Real Madrid) und Raphael Guerreiro (zu Bayern München) bedeuten einen Qualitätsverlust. Ob die teuren Nachfolger Felix Nmecha oder Marcel Sabitzer den Verlust kompensieren, muss sich erst noch erweisen. Besonders bei Nmecha sind da Zweifel angebracht. Gleiches gilt für die Entscheidung, Emre Can zum Kapitän des Teams zu ernennen. Can verfügt ohne Frage über ein großes Kämpferherz und die notwendige Professionalität, ist aber spielerisch zu limitiert, um höchste Qualitätsansprüche zu erfüllen.
Auch Kehl wird sich Kritik stellen müssen
Es ist zu früh, um von einer echten Krise zu reden. Aktuell steht der BVB auf dem 7. Tabellenplatz, hat aber nur zwei Punkte Rückstand auf die Spitze. Aber in Dortmund kochen die Debatten schnell hoch, auch um den Trainer. Die Voraussetzungen für ein Krise sind erfüllt. Ob sie tatsächlich kommt, ist aber nicht ausgemacht. Klar ist nur, dass das Klima deutlich rauher wird, wenn im nächsten Bundesligaspiel am Samstag zu Hause gegen Wolfsburg keine deutliche Besserung eintritt.
Quellen: "Amazon Prime", DPA