Es ist so: Wann immer ein Reporter Joachim Löw auf die spanische Nationalmannschaft anspricht, schwillt dem Bundestrainer der Kamm. Nach dem 3:1-Erfolg über Belgien Mitte Oktober im letzten EM-Qualifikationsspiel des Jahres in Düsseldorf rempelte er einen Fragesteller zum Beispiel so an: "Es wird immer über das Duell mit Spanien bei der EM gesprochen. Davon möchte ich mich heute ganz offiziell verabschieden", so Löw damals. Der Coach meidet das Thema Spanien aus zwei Gründen: Einerseits hat er die beiden schmerzhaften Niederlagen im Finale der EM 2008 und im Halbfinale bei der WM vergangenes Jahr in Südafrika immer noch nicht ganz verdaut, andererseits sieht Löw eben nicht nur die "Rote Furie" als alleinigen großen Widersacher seiner Elf auf dem Weg zum Titelgewinn.
Da hat Löw nämlich vor allem die Holländer auf dem Schirm. So passt es ganz gut, dass die deutsche Mannschaft im letzten Länderspiel des Jahres in Hamburg (Dienstag, ab 20.45 Uhr im -Liveticker) auf eben diese Holländer trifft. Eine Mannschaft, die Löw bewundert. Und: die er als Vorbild auserkoren hat. Über solche Teams spricht der Bundestrainer viel lieber. "Sie beherrschen ihr Spiel perfekt", sagt Löw. Aber das tut doch auch die deutsche Mannschaft, möchte man ihm jetzt entgegnen. Mal den wilden Test gegen die Ukraine ausgenommen, hat die DFB-Auswahl in diesem Jahr doch bewiesen, dass sie den Wandel vom pragmatischen Ergebnisfußball zum fast holländischen Erlebnisfußball vollzogen hat. Schon richtig, aber Löw geht es um mehr: um die Selbstverständlichkeit, mit der unsere Nachbarn Weltklassespieler heranzüchten - weil sie seit Jahrzehnten nach dem gleichen Prinzip arbeiten.
"Ergebnis nicht das Wichtigste"
"Die Holländer sind seit 30 Jahren an Beständigkeit nicht zu überbieten. Sie haben permanent 20 Spieler in der Weltspitze, können immer nachschieben", schwärmt Löw mit großen Augen. Und der Coach erklärt: "Bei Ajax und in Eindhoven spielen seit Ewigkeiten immer drei, vier junge Leute in der ersten Mannschaft. Die bekommen dort permanent Spielpraxis und sind alle in Sachen Taktik unglaublich geschult. Bei uns hat das 2006 angefangen, und erst jetzt ist in der Bundesliga ein Trend erkennbar." Wer Löw in diesen Tagen so über die Niederländer philosophieren hört, bei dem könnte leicht der Eindruck entstehen, dass Deutschland in der aktuellen Fußball-Weltrangliste auf Platz 28. liegt. In Wahrheit ist seine Mannschaft Dritter - und damit nur einen Platz schlechter als Holland.
In Hamburg zum Jahresabschluss tritt die "Elftal" von Bondscoach Bert van Marwijk ohne ihre drei Weltklassespieler Arjen Robben, Robin van Persie und Rafael van der Vaart an. Wahrscheinlich deshalb stockt die löwsche Liebeserklärung am Tag vor dem Spiel an die Holländer zwischendurch auch mal kurz. "Warum sollten wir vor ihnen Angst haben?", fragt der Bundestrainer in die Runde. Aber nach all der Lobhudelei für die System-Kicker aus dem Nachbarland klingen seine Worte doch eher ein bisschen nach Trotz, denn nach fester Überzeugung, Holland wirklich schlagen zu können. Ein Satz entlarvt ihn schließlich noch: "Das Ergebnis ist bei dieser Partie nicht das Allerwichtigste."
Mit dem Rotwein vorm TV
Die Niederländer sehen das übrigens anders. "Unsere Landsleute wollen immer, dass wir schön spielen und 5:0 gewinnen", berichtet Bert van Marwijk vor dem Match in Hamburg. Und dann sagt der Bondscoach etwas, was beinahe schon kurios klingt: "Wir müssen uns ab und zu Deutschland als Vorbild nehmen: Die können auch mal schlecht spielen und gewinnen", so van Marwijk.
Beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften in der Hansestadt bei der Europameisterschaft 1988 spielte Deutschland allerdings nicht gut - und schied nach dem 1:2 im Halbfinale aus. Joachim Löw saß damals zuhause in Freiburg mit einem Glas Rotwein vor dem Fernseher. Heute sagt er: "Ich freue mich immer, wenn ich niederländischen Fußball im TV schaue." Ob das 1988 auch schon so war, ließ sich der Bundestrainer nicht entlocken. Ausgeschlossen ist es nicht.