Im Feriencamp der Nationalmannschaft auf Mallorca diskutieren alle über die möglichen Streich-Kandidaten, doch Joachim Löw muss vor allem seine Top-Leute in eine Top-Verfassung für die EM bringen. Nach einem umfangreichen Gesundheitscheck der 24 anwesenden Spieler im Teamhotel "Son Vida" bastelt der Bundestrainer an einem notwendigen Aufbauprogramm für Leistungsträger wie Torsten Frings, Miroslav Klose und Christoph Metzelder, der nach einem Saudi-Arabien-Abstecher mit Real Madrid am Mittwoch anreisen sollte.
"Sie werden einige Einheiten mehr absolvieren", kündigte Löw in Palma an. Als erster Spieler stieg Torhüter Jens Lehmann im Stadion "Son Moix" zwei Tage eher als ursprünglich vorgesehen ins Training ein und absolvierte ganz allein mit Torwart-Coach Andreas Köpke ein Torwarttraining. "Jens hat ja weniger gespielt in letzter Zeit", begründete Löw die Extra-Tour für Lehmann.
"Der Kleine ist wahnsinnig positiv"
Die Grundlagen für eine erfolgreiche Turnier-Vorbereitung würden stimmen, betonte Löw, nachdem die Teamärzte Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Tim Meyer die EM-Kandidaten noch einmal intensiv unter die Lupe genommen hatten. "Der Gesamtzustand der Mannschaft ist gut. Alle Spieler sind maximal belastbar", erklärte der Bundestrainer, der in Neuling Marko Marin schon nach zwei gemeinsamen Übungstagen im Fitnessstudio und beim Basketball-Training mit Ex-Nationalspieler Dennis Wucherer einen neuen Liebling gefunden hat. "Der Kleine ist wahnsinnig positiv", beschrieb Löw geradezu liebevoll seine ersten Eindrücke von dem 19-jährigen Gladbacher. In einem Gespräch hatte der DFB-Chefcoach dem überraschend ins vorläufige Aufgebot geholten Marin nur kurz deutlich gemacht: "Spiel' so wie in Gladbach."
"Wenn er auch hier so selbstbewusst und frech auftritt, kann er auch bei uns seine Leistung abrufen", sagte Löw. Offenbar räumt der Bundestrainer dem Neuling gute Chancen ein, von der Reduzierung seines Kaders von 26 auf 23 Spielern am 28. Mai nicht betroffen zu sein. Ob Löw schon am Montag vor dem Testspiel gegen Weißrussland die Entscheidung bei seinem "Casting" um die EM-Plätze trifft oder erst am Spieltag, habe er noch nicht "zu Ende gedacht", berichtete der 48- Jährige. "Das lasse ich mal offen."
Lehmann mit Vorteilen gegenüber Adler und Enke
Vor allem im Mittelfeld muss er noch kräftig aussortieren. Neben Marin stehen dort Jermaine Jones, David Odonkor, Piotr Trochowski und auch Simon Rolfes unter besonderer Beobachtung. Dagegen gilt der Bremer Fritz als Favorit auf die nach dem Verletzungs-Ausfall von Bernd Schneider vakante Position im rechten Mittelfeld. "Wir haben gute Erfahrungen mit Clemens Fritz", bemerkte der Chefcoach.
Offen lässt Löw derzeit noch die Rangfolge seiner drei Torhüter: "Es gibt keinen Grund, sich schon zu Beginn des Trainingslagers festzulegen." Erst nach einer Rückfrage räumte er dem 38-jährigen Lehmann "schon Vorteile" gegenüber dem 23 Jahre alten René Adler und dem 30-jährigen Robert Enke ein. "Wenn alles normal läuft, Jens sich in den Spielen vor der EM in Form bringt und in Top-Verfassung ist, kann man davon ausgehen, dass er unsere Nummer 1 ist", erklärte Löw und ergänzte: "Wettbewerb gibt es auch im Tor, aber Jens hat schon einen Vorteil." Ob Lehmann auch nach der EM seiner DFB-Karriere fortsetzen kann, ist für den Bundestrainer derzeit kein Thema: "Das sind Dinge, die man nach der EM entscheidet."
"Fußball ist ein Kampfspiel und kein Kampfsport"
Aktuell fordert der Chef des deutschen EM-Unternehmens einen "absoluten Fokus auf das, was hier passiert". Für die Zeit nach der Abreise der Spielerfrauen und Kinder am Freitag kündigte Löw eine extrem hohe Belastung für seine Profis an. Dabei werden auf dem bestens gepflegten Rasen im Stadion von Real Malloreca verschiedene Schwerpunkte gesetzt: So ist ein "Offensivtag" geplant, an dem sich alles um die Vorwärtsbewegung des gesamten Teams drehen wird, und auch ein "Defensivtag". Zudem möchte Löw schon auf Mallorca verstärkt an der Verbesserung der Standard-Situationen arbeiten, eines der großen Defizite im deutschen Spiel.
Das ungewohnte Basketball-Training hat der DFB-Trainerstab bereits dazu genutzt, um die Aufmerksamkeit auf eine andere Schwäche zu legen. "Zweikämpfe sind das Thema", bemerkte Löw, den gerade das Zweikampfverhalten im Basketball beeindruckt: "Da ist man unglaublich nah am Gegner, ohne permanent den Körperkontakt zu suchen. Aus dem Defensivverhalten können wir lernen." Zu häufiges und unnötiges Foulspiel ist ein Lieblingsthema von Löw. "Wir müssen weg von den teutonischen Tugenden der Eisenfüße. Fußball ist ein Kampfspiel und kein Kampfsport."
DPA/kbe