Eigentlich war Fernando Torres schon weg vom Fenster. Für die Nationalmannschaft hatte Spaniens EM-Held von 2008 seit fast einem Jahr nicht mehr getroffen; beim FC Chelsea blieb der Stürmer-Star in 24 Spielen in Serie ohne Erfolg.
"Ich hatte Angst, bei der EM nicht dabei zu sein", gestand Torres, nachdem ihn Nationaltrainer Vicente del Bosque doch in den Kader für die EM berufen hatte. "Ich war beinahe glücklicher als bei meinem Länderspieldebüt."
Zu einem Großteil verdankt Torres seine Nominierung dem verletzungsbedingten Ausfall von Tor-Garant David Villa (FC Barcelona). Als klar war, dass der Torschützenkönig der EURO 2008 und Rekordschütze der spanischen Nationalmannschaft nicht mit zum Turnier reisen kann, hatte der Titelverteidiger auf der Mittelstürmerposition plötzlich ein Riesenproblem. Weder Torres noch Fernando Llorente nach zwei verlorenen Pokalendspielen mit Athletic Bilbao noch Alvaro Negredo (FC Sevilla) haben Villas Klasse, Kaltschnäuzigkeit und Killerinstinkt.
Torres wohl in der Startelf
Aber der wieder erstarkte Torres hat nun die besten Chancen, die Lücke füllen zu dürfen. Der Mann mit der Nummer 9 wird aller Voraussicht nach in der Schlüsselpartie gegen Italien am Sonntag beim Gruppenauftakt auf der 9 spielen. Ob Torres seine alte Unbekümmertheit endgültig wieder gefunden hat, wird sich dann zeigen.
Del Bosque ist mit dem Aufwärtstrend seines Sorgenkinds jedenfalls zufrieden: "Fernando ist wieder euphorisch. Man sieht es an seinen Augen." Der Trainer fordert aber Kontinuität: "Fernando muss Tore und Geschwindigkeit zu unserem Spiel beisteuern." In den jüngsten Testpartien zeigte der 28-Jährige zumindest ansatzweise seine alte Gefährlichkeit und seine gewohnten Qualitäten. Zusätzliches Selbstvertrauen schöpfte der Sunnyboy durch den Gewinn der Champions League im dramatischen Finale gegen Bayern München.
Erstes Tor seit fast einem Jahr
"Ich hatte schwierige Zeiten, aber jetzt fühle ich mich gut", sagte Torres nach dem nicht nur für ihn erlösenden 1:0 gegen Südkorea am 30. Mai. Dank seines ersten Treffers für die selección seit Juni 2011 scheint der Knoten geplatzt zu sein. "Hoffentlich kann ich bis zum EM-Finale Tore feiern", sagte Torres.
Dieses Gefühl kennt der Mädchenschwarm mit dem Milchbubengesicht, den rosigen Wangen und dem blonden Schopf bestens: Dank seines Siegtors gegen Deutschland im EM-Finale von Wien war er beim ersten Titeltriumph Spaniens nach 44 Jahren der gefeierte Held. Auf diesen historischen Treffer wird der sechstteuerste Spieler der Fußball-Geschichte - 2011 kaufte ihn der russische Milliardär und Chelsea-Besitzer Roman Abramovich für rund 60 Millionen Euro dem FC Liverpool ab - immer wieder angesprochen. "Ich lasse den Treffer manchmal noch in Zeitlupe vor meinem geistigen Auge in meinem Kopf an mir vorbeiziehen", sagte er. "Daran werde ich mich immer erinnern."
Torres hätte aber nichts dagegen, wenn nach dieser EM ein neuer Film in seinem Kopf ablaufen würde. Am liebsten natürlich wieder mit dem Siegtreffer im Finale. Dann hätte er entscheidenden Anteil am historischen Triumph: Schließlich gewann noch nie ein Nationalteam drei Titel hintereinander bei bedeutenden Turnieren.