Giovane Elber war eigentlich im Stadion, um als Experte über sein Heimatland Brasilien zu sprechen. Doch nach den 90 Minuten in Stuttgart, in denen Deutschland mit Spielfreude, Tempo und Torgefahr zu gefallen wusste, gab es für Elber nur ein Thema: "Ein geiler Kicker, dieser Götze. Sensationell, was er hier gespielt hat", schwärmte der ehemalige Stürmer des FC Bayern.
Der 3:2-Erfolg wird die Euphorie rund um die Nationalmannschaft in den nächsten Monaten sicherlich nicht bremsen, aber es war auch "nur" ein Freundschaftsspiel. Bei einer Niederlage wären alle bemüht gewesen, genau diese Tatsache hervorzuheben, der gleiche Impuls sollte auch nach einem Sieg erlaubt sein. Ein Sieg gegen ein Team, das nach dem frühen Aus bei der Copa America ohnehin auf der Suche nach der Topform ist.
Trotzdem hat beim DFB-Team schon sehr viel zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Saison funktioniert. Wir nennen fünf wichtige Erkenntnisse, bevor im September die EM-Qualifikation gegen Österreich wieder losgeht:
1) Der EM-Titel ist das Ziel
Die spielerischen Fortschritte der vergangenen Jahre sind noch nicht abgeschlossen. Bundestrainer Joachim Löw entwickelt seine Mannschaft stets weiter, deshalb kann der Blick nach den Plätzen zwei (EM 2008) und drei (WM 2010) nur nach ganz oben gehen. Und anders als noch in den Jahren zuvor, geht auch Löw mit diesem Ziel offensiv um:
"Die letzten Turniere sind wir immer ganz knapp gescheitert. Natürlich müssen wir darauf hinarbeiten, mal den nächsten Schritt zu machen", sagte der Bundestrainer nach dem Sieg gegen Brasilien. Dabei ist sich Löw aber auch bewusst, wer weiterhin der Stolperstein sein könnte. "Die Spanier zu attackieren, da arbeiten wir dran. Ob man Spanien erreicht, muss man sehen. Da muss man sich noch entwickeln. Wir waren in den letzten Jahren sehr konstant, aber das heißt noch nicht, dass wir uns mit dem Weltmeister messen können." Das Spiel gegen die Selecao war aber ein guter Anfang.
2) Die Auswahl wird immer größer
Die Zeiten sind vorbei, in denen sich das DFB-Aufgebot quasi von selbst aufstellte. Löw hat auf vielen Positionen die Qual der Wahl. Das gilt vor allem für die Innenverteidigung, das defensive Mittelfeld und die offensive Dreierreihe. In der Viererkette spielt sich Mats Hummels immer mehr in den Vordergrund, Holger Badstuber und Jerome Boateng stehen knapp dahinter. Doch dann kommen in Zukunft auch noch Per Mertesacker und möglicherweise Arne Friedrich hinzu, Probleme sehen anders aus.
Auf der Sechs, ob sie nun doppelt oder nur einfach besetzt wird, ist das Angebot ähnlich groß. Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira, Sven Bender, Toni Kroos und Simon Rolfes heißen hier die Kandidaten, wobei die beiden Erstgenannten weiterhin in der Pole Position sind. Im offensiven Mittelfeld (siehe Punkt 4) wird das Angebot an Spielern mit Stammplatz-Ambitionen auch immer größer. Einzig der Posten des Rechtsverteidigers ist noch unbefriedigend besetzt, sowohl Christian Träsch als auch Benedikt Höwedes kommen auf anderen Positionen wesentlich besser zurecht.
3) Es wird Härtefälle geben
Sowohl bei der Nominierung des EM-Kaders für den kommenden Sommer als auch bei der Installierung einer Stammelf wird Löw an langen Gesichtern nicht vorbeikommen. Denn die jungen Wilden drängen mit Macht in die Mannschaft. Und auch wenn eine gesunde Mischung aus Jugend und Erfahrung erstrebenswert ist, Lukas Podolski oder auch Mertesacker müssen in den nächsten Monaten viel zeigen, um ihre Plätze zu verteidigen.
Löw verzichtete im Fall Podolski auf Individualkritik: "Ich möchte nicht auf einzelne Positionen eingehen. Ich bin froh, wenn ich 20 Topleute habe. Es ist gut, wenn schon die Jungen die Jungen unter Druck setzen." Bis dato konnte sich der Kölner auf seine Treffsicherheit und auch auf die häufig zur Bundesliga divergierende Leistung im Nationalteam verlassen. Zuletzt traf Podolski aber im Oktober 2010 gegen Kasachstan, danach gab es sieben Länderspiele ohne Podolski-Tor.
4) Es muss Götze und Özil heißen
Es lag auf der Hand, dass Löw nach Spielschluss gefragt wurde, was mit Götze passieren wird, wenn der gegen Brasilien geschonte Mesut Özil in den Kader zurückkehrt. "Das sind solche Wenn-Dann-Fragen", versuchte der Bundestrainer auszuweichen. Doch bei der Bedeutung, die Özil seit der WM in Südafrika für die Gestaltung des deutschen Spiels innehat, und der Leistung von Götze gegen Brasilien (sportal.de-Note 1,5) kann die Antwort nur lauten: Özil und Götze müssen zusammenspielen.
Denn der Dortmunder ist es aus dem Verein gewohnt, auf Außen zu spielen und mit einem ähnlich spielstarken Regisseur (Shinji Kagawa) zu harmonieren. Ob es dann die linke oder die rechte Seite sein wird, kann die Zukunft zeigen, aber ein Mario Götze in der jetzigen Form darf nicht auf der Ersatzbank versauern.
5) Löw kann verschiedene Systeme spielen lassen
Eine weitere Option in der Frage der optimalen Besetzung des offensiven Mittelfelds liegt in der Wahl des Systems. Bisher war das 4-2-3-1 in Stein gemeißelt, als einzige Variante galt die Rückkehr zum 4-4-2, wo es aber vor allem darum ging, den beiden Stürmern Mario Gomez und Miroslav Klose mehr Einsatzzeit zu geben.
Gegen Brasilien überraschte Löw mit der Variante 4-1-4-1. Dabei wird der offensive Part der Doppelsechs aufgelöst und ein Spieler (gestern: Toni Kroos) rückt weiter nach vorne. Ob dieses System gegen spielstarke und dominante Gegner wie Spanien das richtige Rezept ist, darf bezweifelt werden, aber gerade gegen Teams, die reagieren und tief stehen, bietet ein 4-1-4-1 gute Möglichkeiten.
Marcus Krämer