Das erste Halbfinale der EM 2012 steht bevor. Portugal gegen Spanien. Das ist David gegen Goliath. Zwar ist sich die veröffentliche Meinung einig, dass Spanien "enttäuscht" und "diese Spanier zu schlagen sind". Wir versuchen jedoch zu entmischen, denn attraktiver Fußball und qualitativ guter Fußball sind nicht zwangsläufig deckungsgleich.
Philipp Lahm sagte vor kurzem: "Spanien ist nach wie vor das Maß aller Dinge". Das stimmt solange, bis Italien oder Deutschland im Finale das Gegenteil bewiesen haben. Doch soweit sind wir noch nicht. Zunächst muss Spanien die Portugiesen schlagen. Wir glauben, Portugal sollte sich ein Beispiel an Italien oder Kroatien nehmen. Den Rest muss CR7 erledigen, dabei sollte er aber mehr Unterstützung bekommen als FR7, denn ein Ribery bzw. Ronaldo hilft gegen die Roja nicht weiter.
Wie soll Portugal Spaniens Offensive stoppen?
Die Frage, wie Portugal defensiv erfolgreich gegen Spanien agieren soll, zieht zwei Fragen nach sich. 1. Was können die Portugiesen vom starken defensiven Auftritt gegen Deutschland mitnehmen? 2. Was haben die Kroaten und Italiener richtig gemacht, dass die Spanier in diesen beiden Spielen kurz vor einem Rückstand (hätte Rakitic getroffen), bzw. nicht zu einem Sieg (gegen Italien) kommen konnten?
Portugal gegen Deutschland mit defensivem Mittelfeld
Portugal verstand es, gegen Deutschland die Räume vor dem Strafraum extrem eng zu gestalten. Sie spielten in einer sehr disziplinierten 4-3-Ordnung vor dem Strafraum. Dabei überließen die Portugiesen den Deutschen im Mittelfeld den Ball (bis zur Führung hatte die DFB-Elf rund 60 Prozent Ballbesitz). Die DFB-Elf durfte da den Ball haben, wo es nicht gefährlich ist, sobald sie näher an den Strafraum kamen, wurde der Raum extrem verengt. Gerade der starke Miguel Veloso nahm Özil bei dessen Vorstößen auf und schloss clever jede noch so kleine Lücke für das Vertikalspiel.
So spielten sich die Deutschen im ersten und zweiten Drittel fast ungestört den Ball zu, während es im letzten Drittel des Spielfeldes ganz eng wurde und kein Durchkommen war. Ein gutes Mittel also, um Kombinationen vor dem Strafraum und Anspiele wie die von David Silva auf Cesc Fabregas im Spiel der Spanier gegen Italien zu verhindern. Damit wäre allerdings noch nicht Spaniens starke linke Seite mit dem offensiven Jordi Alba und dem umtriebigen Andres Iniesta gestoppt.
Kroatien und Italien: Mit geballter Faust im 5-3-2
Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass ausgerechnet zwei physisch extrem starke und unangenehm zu spielende Gegner wie Kroatien und Italien den besten Eindruck gegen die übermächtigen Spanier hinterließen. Da wir jedoch zunächst an taktische Maßnahmen und nicht an "die müssen nur mehr kämpfen"-Argumente glauben, hier die Lehren der Kroaten und Italiener.
Fangen wir also mit den Franzosen an: Laurent Blancs Plan mit zwei Außenverteidigern (Mathieu Debuchy und Anthony Réveillère) ging daneben. Eine bessere Idee, als bei Ballbesitz der Spanier eine Fünferabwehrkette zu bilden, hatte bisher aber noch kein Trainer bei dieser EM. Nur besser gespielt haben es zwei Teams: Italien und Kroatien.
"Verteidigt wie eine geballte Faust, aber greift an wie eine offene Hand", konnte mein Jugendtrainer diese Dinge immer herrlich einfach verbildlichen. Es geht also darum, die taktische Grundformation zu verändern, wenn der Gegner im Ballbesitz ist. Kroatien lief nominell in einem 4-2-3-1 auf, das in den Umschaltphasen eher einem 4-4-2 glich und bei geballter Faust zum 5-3-2 wurde.
Kroaten und Italiener mit ähnlicher Taktik
Slaven Bilic stellte zwei nominellen offensive Außenspieler auf (Danijel Pranjic und Darijo Srna), die auch als Außenverteidiger durchgehen würden. Im Defensivverhalten nahmen sie diese Rolle an, ließen sich flexibel auf der rechten oder linken Seite neben den Verteidiger fallen und es entstand ein 5-3-2-System bei Ballbesitz Spanien. Auch die Stürmer der Kroaten arbeiteten viel nach hinten, um das berühmte Überzahlspiel der Spanier im Mittelfeld auszugleichen. Der ballführende Spanier wurde dann von einem rausrückenden Kroaten im Spielaufbau gestört.
Italien agierte gegen Spanien ähnlich. Auch das 3-5-2-System der Italiener verschob sich bei Ballbesitz Spanien zu einem 5-3-2-System. Die Flügelspieler Christian Maggio und Emanuele Giaccherini wichen zurück, neben die Dreierkette, aus der Dreierkette wurde eine Fünferkette. Im defensiven Mittelfeld agierten Motta, Andrea Pirlo und Claudio Marchisio raum- und gegnerorientiert. Was hat das alles mit den Portugiesen zu tun?
Im Fußball ist alles möglich und Chancen gibt es genug
Zwei Dinge hat die Kurzanalyse der unangenehmsten Gegner Spaniens gezeigt. 1. Ein taktisch flexibel agierendes, defensives Mittelfeld ist wichtig - Check! Die Portugiesen haben nicht zuletzt gegen Deutschland gezeigt, wie stark ihr defensives Mittelfeld ist. 2. Bei Ballbesitz der Roja, bitten wir alle Passagiere des Fluges EM2012 Richtung Finale auf ihre defensiven Plätze, bitte hinter dem Ball! Hier liegt der Hase im Pfeffer. Portugal agiert mit Nani und Ronaldo, dazu mit einem Mittelstürmer.
Können Sie sich vorstellen, dass Nani und Ronaldo bei Ballbesitz Spanien als verkappte Verteidiger agieren und aus der Vierer- eine Fünferkette wird? Wir nicht. Portugals Coach Paulo Bento wird also vermutlich einen Offensivspieler opfern und mit einem flexiblen 4-4-2 auflaufen. Ronaldo und Nani, oder Ronaldo und Almeida wären die offensiven Akteure.
Kroatien hat gezeigt, dass man damit zumindest die Chance auf einen Sieg hat. Aber vielleicht setzt Bento auch auf die eigene Stärke und sagt, die Spanier müssen sich an uns orientieren, nicht wir an den Spaniern. Das wäre zwar so, als würde sich Heidi Klum Schminktipps bei Alice Schwarzer holen und Alice Schwarzer einen Artikel von Heidi Klum schreiben lassen, aber im Fußball ist zum Glück alles möglich. Zurück aber zur Analyse des bisher Gesehenen und den Schlüssen, die wir daraus ziehen. CR7 gehört durch die beiden Auftritte gegen die Niederlande und Tschechien zu den besten Spielern dieser EM. Stellt er für Spanien eine Gefahr dar?
Wie kann Spanien Cristiano Ronaldo stoppen?
Franck Ribery spielt eine ähnliche Position wie Ronaldo, er genießt ebenfalls alle Freiheiten im Spiel nach vorne und kann ein Spiel alleine entscheiden. Ribery gehörte zwar noch zu den besseren Franzosen im Spiel gegen Spanien, aber auch FR7 konnte allein auf weiter Flur nicht viel ausrichten. Wir korrigieren! Allein war Ribery nie. Es tummelten sich immer drei bis vier Spanier um den Dribbelgott.
Eine große Qualität der Spanier ist das Überzahlspiel. Spanien spielt manchmal mit nur zwei Abwehrspielern, davor agieren Arbeloa, Alonso, Busquets und Alba als Abwehr vor der Abwehr und durch das weltweit in dieser Form einzigartig praktizierte Verschieben und Überzahlschaffen beginnt die Defensive der Spanier schon im Mittelfeld. Die Abwehr ist dann meist nur noch Ausputzer hoher Bälle oder Noteingreiftruppe.
Ronaldos Mitspieler werden also gefragt sein, um dem Ausnahmestürmer Räume zu verschaffen. Nur wenn Nani und die aufrückenden Spieler es schaffen, dass sich nicht drei bis vier Spieler um Ronaldo gruppieren können, dann hat CR7 auch den Raum und die Chance seine Schnelligkeit und Torgefährlichkeit einzubringen.
Was könnte Spaniens Schlüssel in der Offensive sein?
Portugals Schwächen liegen auf den Außenverteidigerpositionen. Genau hier hat Spanien mit Alba und Iniesta auf der linken Seite eine große Stärke, rechts könnte Vicente Del Bosque erneut auf Jesus Navas setzten. Der Stürmer des FC Sevilla ist ein extrem konsequenter Flügelspieler, der das Spiel breit macht und seine Schnelligkeit über die rechte Seite einbringen kann.
Wer gewinnt das Halbfinale?
Viele Fans sind enttäuscht vom Auftreten der Spanier. Ein Feuerwerk des attraktiven Offensivfußballs sieht anders aus. Man sollte attraktives Spiel aber nicht mit erfolgreichem Spiel verwechseln. Spanien spielt qualitativ grandiosen Fußball, nur attraktiv sind die Spiele der Spanier nicht immer. Wir glauben nicht, dass die Portugiesen mit ihren quantitativ limitierten Angriffsoptionen eine Gefahr für Spanien darstellen. Ein Ronaldo macht noch keinen Sommer.
Portugal müsste eigentlich das System wechseln, noch einen defensiven Spieler bringen, um die schwachen Außenverteidiger zu unterstützen, doch die kombinationsstarken Spanier werden die Lücke finden. Vielleicht unterschätzen die Spanier die Portugiesen auch, denn im Fußball ist alles möglich. Unser Orakel ist jedoch der Taktiktisch und der sagt: Golitah gewinnt!