Spanien will am Abend endlich seinen Franzosen-Fluch überwinden. Noch nie konnte die "Selección" die "Équipe Tricolore" bei einem Turnier schlagen. Im Viertelfinale der Fußball-EM soll diese schwarze Serie enden. "Ich hoffe, dass diese Pechsträhne dann vorbei ist", sagte Trainer Vicente del Bosque vor dem siebten offiziellen Vergleich mit dem Angstgegner am Abend in Donezk (20.45 Uhr/live im stern.de-Ticker). "Im letzten Freundschaftsspiel in Paris haben wir sie 2:0 besiegt."
Die bisherige Bilanz in Pflichtspielen sieht für Spanien dagegen mit einem Unentschieden und fünf Niederlagen bitter aus. Die Misere begann mit der Finalpleite bei der EM 1984 und setzte sich bis zum 1:3 im Achtelfinale bei der WM in Deutschland vor sechs Jahren fort. Das einzige Remis (1:1) in der EM-Gruppenpartie 1996 ist nicht viel mehr als statistische Kosmetik.
"Wir haben keine Angst vor Frankreich"
Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Spanier in der Gesamtbilanz einschließlich Testspielen 13:6:11 vorne liegen. "Statistiken sind dazu da, dass man sie bricht", erklärte Keeper und Kapitän Iker Casillas angriffslustig. Mittelfeld-Star Andrés Iniesta sagte im Spaß: "Hoffentlich können sie ihr Kasperletheater mit uns am Samstag nicht fortsetzen."
Für ein Ende des "Kasperletheaters" spricht zumindest das aktuelle Kräfteverhältnis. Die "Roten" haben die "Blauen" in der Hierarchie und spielerisch längst überflügelt. Spanien strebt als Europa- und Weltmeister das Titel-Triple an. Die Nummer eins der Weltrangliste gilt trotz ihrer stark schwankenden Leistungen in der Gruppenphase zurecht weiterhin als heißer EM-Kandidat.
"Wir haben es verdient, Favorit zu sein", sagte Iniesta dazu selbstbewusst. "Wir haben keine Angst vor Frankreich, aber wir respektieren sie wegen ihres extrem hohen Niveaus." Del Bosque bescheinigte dem Team von Laurent Blanc ebenfalls "höchste Qualität". Er erklärte zugleich bei der Abschlusspressekonferenz in Donezk: "Wir gehen mit berechtigtem Optimismus in die Partie."
Respekt vor allem vor Benzema
Casillas warnte davor, die Franzosen wegen ihrer jüngsten 0:2-Pleite gegen die zuvor punktlosen Schweden zu unterschätzen: "Soll bloß keiner glauben, das werde ein Spaziergang und wir schießen die einfach ab. Wir werden leiden." Eine ähnlich durchwachsene Leistung wie beim mühevollen 1:0 im Gruppenfinale gegen Kroatien dürfte gegen die Franzosen nicht reichen. "Wir müssen uns steigern", hatte del Bosque vor dem Abflug in die Ukraine gefordert.
Vor allem vor Karim Benzema haben die Spanier einen Heidenrespekt. Der bislang noch torlose Mittelstürmer der Franzosen trifft in der Donbass-Arena gleich auf vier Madrider Teamkollegen. "Ich habe das Glück, mit ihm die Kabine teilen zu dürfen", sagte Real-Kapitän Casillas. "Jetzt will das Schicksal, dass wir gegeneinander spielen. Er ist ein Riesenspieler, aber ich hoffe, dass es bei ihm an diesem Tag nicht gut läuft."
Sergio Ramos, der in ständigem Kontakt mit seinem Kumpel steht, betonte: "Karim kann den Unterschied ausmachen." Benzema habe bei der EM bislang nicht getroffen und "ich hoffe, dass das so bleibt". Del Bosque schwärmte über den bulligen Neuner: "Buenísimo." Aber auch Bayern-Star Franck Ribéry und Samir Nasri vom englischen Meister Manchester City stehen bei den Spaniern hoch im Kurs.
Fábrgeas oder Torres im Sturm?
Beim nicht öffentlichen Training verpasste del Bosque seinem Team den letzten Feinschliff. Vor allem im Angriff feilte der Trainer an der Taktik, da ihm nach David Villas Ausfall ein Stürmer dieser Qualität - oder der von Benzema - schlichtweg fehlt. Vor allem zwei Optionen sind denkbar: Mit Fernando Torres als klassischem Center oder mit dem offensiven Mittelfeldmann Cesc Fàbregas als falschem "Neuner". Der Trainer räumte ein, er habe noch einige Zweifel: "Es gibt verschiedene Optionen, Fàbregas ist eine". Da del Bosque ein 4-2-3-1-System bevorzugt, spricht aber mehr für die Torres-Variante.
Dass ihr Kabinen-Knatsch sich negativ für die Franzosen auswirken könnte, glaubt kein Spanier. "In jeder Familie gibt es Streit", meinte Ramos. Del Bosque geht nicht davon aus, "dass dies ein Handicap ist". Die Franzosen betrachten die Zoff als beigelegt - und wollen gar gestärkt daraus hervorgehen. "Mit Streit zu Sensation", lautet das Motto vor dem Klassiker, bei dem aus französischer Sicht nur die Statistik für "Les Blues" spricht, nicht aber der aktuelle Leistungsstand.
"Jeder steht zur Verfügung, das ist großartig", meinte Trainer Laurent Blanc am Freitag. "Einige Spieler benötigten nach dem Spiel gegen Schweden etwas Aufmerksamkeit, vor allem Ribéry und Samir Nasri." Bayern-Star Ribéry klagte über einen Schlag auf die Ferse. Mittelfeldkollege Nasri hatte wegen Knieproblemen pausiert und ist ebenfalls einsatzbereit.
Koscielny ersetzt gesperrten Mexès
Gegen den Titelverteidiger steht Innenverteidiger Laurent Koscielny bei seinem EM-Debüt vor der Aufgabe, den gelbgesperrten Philippe Mexès zu ersetzen. "Das ist seine Chance, zu zeigen, dass er nicht zufällig hier ist", meinte Mannschaftskapitän Hugo Lloris. Zudem kündigte Blanc an, dass Mittelfeldspieler Yohan Cabaye in die Startelf zurückkehrt.
Was glauben Sie? Ist Geheimfavorit Frankreich stark genug, um den Welt- und Europameister aus dem Turnier zu werfen? Diskutieren Sie mit in der stern.de-Fankurve auf Facebook.