Wolfgang Stark hat es nicht leicht in letzter Zeit. Erst muss sich Deutschlands international anerkannter Top-Schiedsrichter während der chaotischen Bundesliga-Relegation von Berliner Spielern bedrohen und schlagen lassen, jetzt ist er Zielscheibe der ersten massiven Schiri-Schelte bei der EM: Kaum jemand, der die Szene gesehen hat, kann nachvollziehen, warum Stark nach dem harten Tackling des spanischen Verteidigers Sergio Ramos gegen den in Diensten des VfL Wolfsburg stehenden kroatischen Stürmer Mario Mandzukic nicht auf den Elfmeterpunkt zeigte. Zu diesem Zeitpunkt, in der 27. Spielminute, hätte sich das Spiel durchaus positiv für die Kroatien entwickeln können. Ein verwandelter Strafstoß hätte womöglich sogar das sensationelle Aus für Titelverteidiger Spanien bedeutet.
Dementsprechend schäumen die Kroaten am Tag nach dem 0:1 gegen die Iberer. "Schiedsrichter Stark hat Kroatien rausgeworfen", schrieb am Dienstag die Zeitung "Jutarnji list". Im TV-Sender Nova hieß es: "Kroatien ist tapfer und stolz gefallen: Das war eine Schiedsrichter-Ungerechtigkeit".
"Das war ein Elfmeter"
"Wir sind bestohlen worden. Der Blindfisch hat den Elfer nicht gesehen", schimpfte der Leverkusener Bundesliga-Profi Vedran Corluka nach dem Spiel über den 42 Jahre alten Bankkaufmann aus Ergolding. Stark hatte Corluka unmittebar nach der fraglichen Szene auch noch die gelbe Karte gezeigt, weil der Bundesligaprofi vehement protestiert hatte. "Heroisches Kroatien bei der EM raus! Wurden wir bestohlen?", stellte am Dienstag die Zagreber Zeitung "Danas" eine eher rhetorische Frage.
Der frühere Schweizer Fifa-Schiedsrichter Urs Meier äußerte als Experte im ZDF ebenfalls Unverständnis für die Entscheidung. "Das war ein Elfmeter", stellte er unumwunden fest, und: "Das war nicht gut von Wolfgang Stark." Meier nahm zudem den Torrichter Florian Meyer - ebenfalls ein erfahrener Bundesliga-Schiedsrichter - in die Pflicht. Es gehöre zu den Aufgaben des Torrichters, den Haupt-Referee auf derart strittige Situationen im Strafraum aufmerksam zu machen. Meyer hatte freie Sicht auf die wohl spielentscheidende Szene am Strafraumrand.
Scheidet nun auch Stark aus?
Der Regelexperte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Lutz Wagner, sprach am Dienstag ebenfalls von einer Fehlentscheidung Starks, nahm den Deutschen aber auch in Schutz. "Es war eine Einzelszene, die nach Ansicht der TV-Bilder durchaus hätte anders entschieden werden können, die aber nichts über die Gesamtleistung aussagt", sagte Wagner, der Mitglied des DFB-Schiedsrichterkommission ist.
Ob der Patzer auch für Stark Folgen hat, wird sich an diesem Mittwoch zeigen. Die Schiedsrichterkommission der Europäischen Fußball-Union Uefa entscheidet dann, welche Referees bei der EM nach der Vorrunde im Turnier bleiben und wer abreisen muss. Für seinen ersten Einsatz beim brisanten Spiel Russland gegen Polen (1:1) hatte Stark noch gute Kritiken bekommen. Und auch die aktuelle Leistung ist nach Ansicht des DFB-Regelexperten Wagner insgesamt nicht zu beanstanden. "Es war sehr schwer zu sehen, ob zuerst der Ball und dann der Gegner oder nur der Gegner getroffen wurde. Nach der dritten oder vierten Zeitlupe ist man immer schlauer", so der frühere Bundesliga-Unparteiische. "Außer dieser Szene hat er souverän gepfiffen. Es war mit Sicherheit kein einfaches Spiel." Sieht die Kommission dies genauso, ist Wolfgang Stark weiter dabei - im Gegensatz zu den Kroaten.
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