Das Viertelfinal-Spiel der deutschen Mannschaft begann für Sami Khedria, nun ja, schmerzhaft. Es waren noch nicht mal 120 Sekunden absolviert, als der Mittelfeldspieler von einem langhaarigen griechischen Ungeheuer namens Georgios Samaras direkt an der Seitenlinie böse niedergestreckt wurde. Khedira krümmte sich, es sah nicht gut aus. Der Blick in Joachim Löws Gesicht verriet Schlechtes. Für einen Moment schien auch der Bundestrainer daran zu zweifeln, ob es für den 25-Jährigen wirklich weitergehen könne. Khedira berappelte sich schließlich. Was danach folgte, war vielleicht das beste Länderspiel in der Karriere des schwäbischen Deutsch-Tunesiers.
Seit der WM 2010 gehört Khedira zur Stammformation der Nationalmannschaft. Angesprochen auf seine Rolle im Team sagte er einmal in Südafrika zu stern.de: "Ich reiße mir den Hintern auf, um mit der Mannschaft Erfolg zu haben, mache gerne Drecksarbeit. Das war schon bei der U21-Europameisterschaft so. Ich renne für Mesut Özil, er entscheidet das Spiel. So sieht das im Idealfall aus. Ich muss nicht in den Vordergrund." Zwei Jahre später steht Khedira plötzlich im Vordergrund. Sein Ansehen ist bei dieser Europameisterschaft von Spiel zu Spiel gestiegen. Zusammen mit Manuel Neuer und Mats Hummels gehört er zu den beständigsten Spielern im Kader des Bundestrainers. Aber Beständigkeit und unerschütterliche Einsatzbereitschaft allein sind es nicht mehr. Khedira kann mittlerweile ein Spiel lesen. Er ist bei Real Madrid zu einem intelligenten Fußballer gereift, der genau weiß, in welchem Moment er für seine Mannschaft wie am wichtigsten ist. Das macht ihn so wertvoll – und auch so unverzichtbar.
"Gut, dass er da ist"
Nehmen wir die 61. Minute beim Spiel gegen Griechenland. Das war der Khedira-Moment. Die destruktiven Hellenen hatten kurz zuvor den überraschenden Ausgleich erzielt. Die deutsche Elf brauchte ein bisschen, um sich von dem mittelschweren Schock zu erholen. Es ratterte in den Köpfen. Eine talentierte junge Mannschaft kann daran zerbrechen. Es braucht dann Führungsspieler, die Verantwortung übernehmen. Normalerweise ist in diesen Situationen Bastian Schweinsteiger derjenige welche. Der war gegen Griechenland ziemlich neben der Spur. Zum Glück aus deutscher Sicht gab es aber immer noch Khedira. Der war schon lange vor dem 1:1 bei jeder Gelegenheit in den Strafraum gesprintet. Er sah keinen Sinn mehr darin, lediglich im Zentrum das auszuputzen, was Schweinsteiger verbockt hatte. Dann also: Boateng flankte, Klose sprang unter dem Ball hindurch und Khedira donnerte den Ball per Scherenschlag unter die Latte. Das war wuchtig und dynamisch. Zwei Adjektive, die den Torschützen zum 2:1 kaum besser beschreiben könnten.
"Es ist gut für die anderen, dass er da ist", sagte Joachim Löw nach dem gewonnenen Viertelfinale über Khedira. Und er lobte weiter: "Sehr dynamisch, sehr präsent, er geht mit nach vorne und arbeitet hinten gut mit. Sami hat sich in den vergangenen Monaten zu einer Führungspersönlichkeit entwickelt." Der Bundestrainer war schon immer ein Fan von Khedira. Unter Klinsmann schwangen Michael Ballack und Torsten Frings noch das Zepter im Mittelfeld. Auch noch für einen gewissen Zeitraum nach der Übernahme der Mannschaft durch Löw. Der junge Khedira entsprach seiner Meinung viel mehr den Anforderungen, die an einen modernen Mittelfeldspieler gestellt werden. Diese sind vielfältig. Löw teilt seine Mannschaft oft in Drittel auf. Das mittlere Drittel muss beides können: verteidigen UND angreifen. Khedira beherrscht diese Kunst perfekt.
Dominanter als Schweinsteiger
Der Nationalspieler hat in der E-Jugend des VfB Stuttgart angefangen, Fußball zu spielen. Er durchlief seit der U15 alle DFB-Auswahlteams und wurde 2007 deutscher Meister mit den Schwaben. Bis auf eine schwere Knieverletzung, die fast das Karriereende bedeutet hätte, ging es für den Mittelfeldspieler immer nur steil nach oben. Seit 2010 spielt Khedira nun im Trikot von Real Madrid. In dieser Saison gewann er mit den Königlichen den Titel in Spanien. Sein Selbstbewusstsein ist dadurch noch einmal gestiegen. Im DFB-Team schauen gerade die jungen Spieler zu ihm auf. Wer mit Casillas und Ronaldo zusammen Meister wird, ist eine Nummer.
Bei der EM bildet Khedira gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil das Herzstück der Mannschaft, den Kern des deutschen Spiels. "Sami", meint Hansi Flick, "ist aufgrund seiner Präsenz und Laufstärke sehr dominant". Der Assistenztrainer von Joachim Löw hätte auch sagen können, dass Khedira bis zum jetzigen Zeitpunkt des Turniers dominanter als die anderen beiden auftritt. Niemand hätte widersprechen können.