Herr Bierhoff, für das Nationalteam geht ein turbulentes Jahr zu Ende. Sind Sie zufrieden mit 2008?
Schauen Sie, von den vier Halbfinalisten bei der WM 2006, Italien, Portugal, Frankreich und Deutschland, haben wir als einzige die Leistung bei der EM bestätigt. Die Mannschaft hat einen weiteren Schritt nach vorne gemacht, taktisch, in ihrer Abgeklärtheit. Spieler wie Lahm, Hitzlsperger, Rolfes und Schweinsteiger sind im Verein Führungsspieler geworden.
Die EM voller Schwankungen und das enttäuschende Finale aber ließen viele Fans ratlos. Wie gut ist denn nun Deutschland?
Sehr gut, aber zur absoluten Weltklasse fehlt uns ein Titel. Da muss man ein Turnier auch mal klar dominieren. Das haben wir bei der EM verpasst.
In der Schweiz hat es innerhalb der Mannschaft gekracht, danach übten Frings und Ballack öffentlich Kritik - es brauchte gar einen Friedensschluss. Man hat das Gefühl, dass sich 2008 der Schleier gelüftet hat, die wundervolle Harmonie im Team, die ja auch Sie immer wieder beschworen haben, wirkt nur mehr wie eine Marketing-Erfindung.
Dass dieser Eindruck jetzt entsteht, ist nicht gerechtfertigt. Niemand behauptet, dass wir bei der EM sechs Wochen ohne Konflikte waren, das schafft man auch nicht bei sich zu Hause. Aber was ist denn danach wirklich passiert? Unmutsäußerungen zweier unzufriedener oder enttäuschter Spieler. An den Reaktionen der anderen Spieler konnte man erkennen, dass das nicht die Meinung aller ist.
Da reden Sie die Probleme etwas klein, oder?
Viele Spieler haben seit der WM 2006 oft gesagt, dass sie sich in der Nationalmannschaft wie in einer Familie fühlen.
Sie selbst benutzen das Bild auch gerne.
Weil es passt. Intern geht man offen, vertrauensvoll und auch kritisch miteinander um. Aber eine Familie streitet sich nicht draußen. Die Nationalmannschaft ist ein Mikrokosmos, es gibt dort Streit, Freude, Kritik, Lob. Ich akzeptiere jedoch den Vorwurf nicht, dass wir bei der EM eine heile Welt vorgegaukelt haben sollen. Was wir haben, ist eine klare Vorstellung davon, wie sich Spieler zu verhalten haben.
Beherrscht und brav? Genau so wirkt die Generation Mertesacker.
Wir verlangen auch teilweise zu viel von den Spielern. Einige kommen ja erst jetzt in das Alter, in dem man selbstbewusster auftritt, Charisma entwickelt. Die jungen Spieler sind sicher individualistisch veranlagt, wollen nicht zu sehr anecken. Vielleicht hat das auch was mit dieser Generation zu tun. Viele beobachten und konzentrieren sich auf sich selbst. Aber sie stellen sich aus Überzeugung in den Dienst der Mannschaft, weil sie wissen, dass ihnen das selbst zugute kommt. Ich habe auf dem Platz oder in der Kabine keinen einzigen Streit erlebt.
Aber liegt das nicht gerade auch an Ihren strikten Vorgaben? Sie stellen einen Verhaltenskodex auf, verteilen Benimmfibeln, geben Fortbildungsliteratur aus.
Da muss man unterscheiden zwischen den Regeln für das Zusammenleben in einer Gruppe und der Persönlichkeit. Wir wollen Persönlichkeiten. Aber nennen Sie mir einen Spieler, der zwingend ins Nationalteam gehört, aber seines Temperamentes oder seines Verhaltens wegen nicht berufen wurde?
Das meinen wir ja: Die Jungen passen sich an.
Wir wollen intelligente und mündige Spieler, die aber im Sinne der Mannschaft handeln. Eine Vermittlung von Werten und Prinzipien ist da nicht verkehrt. Das geschieht doch in anderen Berufen auch. In Konzernen gibt es einen Code of Conduct. Warum nicht in der Nationalmannschaft?
Trotz aller Verhaltensregeln - durch das Team geht ein Riss. Sie selbst hatten bis in den September Zoff mit Michael Ballack, danach folgte sein Streit mit Bundestrainer Löw. Kann er überhaupt noch Kapitän dieser netten Mannschaft sein?
Jogi Löw hat Michael deutlich klargemacht, was er von ihm als Kapitän verlangt. Die Ergebnisse seit 2004 sprechen dafür, dass unser Ansatz der Arbeit und Führung richtig ist. Ich hoffe, Michael sieht es ein und setzt es entsprechend um. Übrigens, glaube ich, wird die Rolle des Kapitäns im Allgemeinen, das war zu meiner Zeit schon so, auch etwas überbewertet. In einer Mannschaft muss es immer drei, vier Spieler geben, die führen, voranmarschieren. Das kann ein Spieler allein gar nicht. Wichtiger ist jedoch, dass jedem klar ist, dass der Trainer, also bei uns Joachim Löw, die letzte Entscheidung trifft.
Hat die, wie Sie sagen, "Premium-Marke" Nationalmannschaft Kratzer bekommen?
Nein, wieso? Es ist ja nicht so, dass wir ständig solche Konflikte haben. Zudem bringt uns auch die Lösung solcher Probleme immer wieder voran.
Warum reagiert Ballack so hitzköpfig, wirft Ihnen Rudi Völler Arroganz vor, nennt Karl-Heinz Rummenigge Sie "die Ich-AG vom Starnberger See"?
Das müssen Sie die entsprechenden Personen fragen. Oft wird versucht, die Diskussion auf eine persönliche Ebene zu bringen, da man in der Sache keine Argumente hat. Ich gehe aber weiter meinen Weg und werde das tun, was ich um des Erfolges für das gesamte Team willen für richtig erachte. Bei gewissen Entscheidungsträgern herrscht ein hoher Respekt dafür, wenn man sich nicht beirren und vereinnahmen lässt.
Manche Leute werfen Ihnen vor, dass Sie mit ihren Werbeverträgen eher Eigeninteressen verfolgen. Es umweht Sie der Vorwurf, Ihren Präsidiumsposten beim DFB für persönliche Zwecke zu missbrauchen.
Gehen wir die Fälle dann doch einmal durch! Ich hatte früher Verträge mit Bitburger, Nike, Sat1 und Toshiba, bevor ich zum DFB ging. Und wie viele davon habe ich jetzt noch? Keinen mehr. Alle Verträge habe ich für den DFB beendet. Das sind die Fakten - nur schreibt darüber niemand.
Was aber auch ein Fakt ist: Sie bringen die Nationalelf mit Ihren Geschäftspartnern in Kontakt, ob Sie dem DFB nun ein Ausrüster-Angebot von Nike überreichen oder eine Firma anschleppen, die den Nationalspielern Luxusuhren schenkt und dafür viel PR bekommt.
Es ist doch die Aufgabe eines Managers, über seine Kontakte Verträge für seinen Arbeitgeber zu besorgen. Und der DFB hat bisher sehr von meinen Kontakten profitiert. Außerdem werden alle Verträge der Nationalmannschaft mit dem Präsidenten, dem Generalsekretär und in enger Zusammenarbeit mit unserem Marketingdirektor abgeschlossen. In der Vergangenheit hatten zudem auch die anderen sportlichen Köpfe des DFB persönliche Partner, etwa Rudi Völler oder Franz Beckenbauer. Bei mir aber wird dies immer negativ erwähnt. Damit muss und kann ich jedoch leben.
Aber Völler und Beckenbauer haben keine Beratungsagentur gegründet.
Ich habe immer in meine Arbeit investiert. 2004, als ich zum DFB kam, habe ich auf eigene Kosten eine Assistentin eingestellt, damit ich effektiver arbeiten kann. Und 2006 habe ich mit Mark Kosicke "Projekt B" gegründet. In dieser Agentur bin ich operativ überhaupt nicht tätig. Ich will Qualität in meiner Arbeit und meine Zeit effektiv für den DFB nutzen. Marc Kosicke soll mir zuarbeiten. Aber das kostet mich Geld, nicht den DFB. Darüber hinaus kann er natürlich die Agentur weiter ausbauen - unter der Bedingung, dass es keine Interessenskonflikte mit meiner Tätigkeit gibt.
Wie konnte es dann sein, dass Holger Stromberg, der Koch der Nationalmannschaft, die Agentur des Managers der Nationalmannschaft anheuerte, um vermarktet zu werden?
Das war ein Fehler, wobei die Zusammenarbeit zunächst ohne mein Wissen entstand. Deshalb hat Marc Kosicke sie auch wieder beendet. Es heißt dadurch aber gleich, der Bierhoff wirtschaftet sich mit seiner Firma in die eigene Tasche. Einer schreibt es, und alle schreiben ab, weil das bequem ist und schlagzeilenträchtig. Tatsächlich hat auch Jürgen Klinsmann eine eigene Firma in den USA. Hat sich je einer an Soccersolutions gestört? Dadurch kam mir überhaupt erst die Idee für meine Firmengründung. Jürgens Partner haben uns damals mit ihren Ideen vor der WM immens unterstützt.
Ganz klar ist es uns noch nicht: Warum stört man sich nur bei Ihnen an solchen Dingen?
Die Frage kann am allerwenigsten ich beantworten. Und offenbar können Sie das auch nicht erklären. Ich glaube, dass sich bis zur WM vieles auf Jürgen Klinsmann fokussierte. Jetzt ist es stärker meine Aufgabe, auch unangenehme Dinge in der Öffentlichkeit anzusprechen. Vielleicht kommt auch daher der Gegenwind. Mittlerweile herrschen bei mir ja fast schärfere Compliance-Regeln als bei den Dax-Unternehmen. Wenn ich nur nach dem gehe, was man mir nachsagt, darf ich mich bald gar nicht mehr bewegen. Das alles ist eine Mischung aus Interessen, Unkenntnis und Skepsis. Ich war nie Everybody's Darling. Ich will es auch gar nicht sein.
Sie haben vielleicht zu oft die neuen Methoden der Nationalelf gepriesen - die Macher der Vereine standen als rückständig da.
Wir, also das Trainerteam und ich, hatten am Anfang sicher eine gewisse Unerfahrenheit oder Unbedarftheit und haben daher auch Fehler gemacht. Manches hätte man diplomatischer und auch strategischer angehen können. Wir waren voller Elan für die Aufgabe, hatten für die Umsetzung unserer Ziele nicht viel Zeit bis zur WM und mussten manchmal bewusst provo-zieren, um für Bewegung zu sorgen.
Ihre grundsätzlichen Ambitionen bleiben stets im Verborgenen. Vor Kurzem aber war zu lesen, Sie könnten sich vorstellen, Manager beim FC Bayern München zu werden
Gelesen habe ich das auch, gesagt nie.
Und? Können Sie es sich denn vorstellen?
Netter Versuch. Mein Vertrag beim DFB läuft noch bis 2010.