Nationalmannschaft Die auf dem Zahnfleisch gehen

Von Klaus Bellstedt
Mit einem letzten Kraftakt hat sich die deutsche Nationalmannschaft ins Ziel gerettet. Der mühsame Arbeitssieg über die Slowakei hat dennoch bewiesen: Das DFB-Team ist trotz mancher Hindernisse vielleicht so stark wie noch nie.

Noch einmal erinnerte vieles an diesem lauen Abend in der Hamburger AOL-Arena an das WM-Sommermärchen - zumindest vor dem Anpfiff: Die Stimmung im mit 51.500 Zuschauern ausverkauften Stadion, die schwülen Temperaturen von über 25 Grad und nicht zuletzt die uns 2006 so ans Herz gewachsenen und wohl bekannten Gesichter unten auf dem Spielfeld. Da standen sie also, die Lehmanns, Mertesackers und Kloses, dazu ein paar neue, von Bundestrainer Joachim Löw herangeführte junge Spieler wie Jansen und Hitzlesperger und schmetterten gemeinsam und inbrünstig wie eh und je die Nationalhymne. Zum letzten Mal in dieser langen und kräftezehrenden Länderspielsaison.

16 Spiele hatte die deutsche Nationalmannschaft inklusive der WM-Matches bis dato absolviert, 13 hatte sie für sich entscheiden können, nur eines endete Remis, zweimal verlor man. Nach dem 2:1-Arbeitssieg gegen die Slowakei liest sich diese ohnehin schon beeindruckende Bilanz nun also sogar noch ein Stückchen rosiger. Wobei der 14. Erfolg im 17. Spiel so gar nichts mit den unbekümmerten Auftritten der deutschen Nationalmannschaft während der WM und in der bisherigen EM-Qualifikation gemein hatte. Aber so richtig störte das hinterher niemanden. "Ich hatte erwartet, dass fußballerischer Alltag von Nöten sein wird, um heute zu gewinnen", bilanzierte nach der Partie ein ähnlich wie seine Spieler erschöpfter Bundestrainer Joachim Löw.

Noch stärker als während der WM

Eine letzte Energieleistung hatte der Coach noch Tags zuvor von seinen müden Kriegern gefordert. Und die sollte er bekommen. Feinste deutsche Hausmannskost, ackern statt zaubern: Das war die Devise gegen unberechenbare Slowaken. Eine Devise, die - zugegeben - aus der Not geboren wurde. Bedenkt man einerseits den schon erwähnten Zeitpunkt des EM-Qualifikationsspiels am Ende einer Saison und andererseits das Fehlen so wichtiger Stammkräfte wie Michael Ballack, Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski. "Wir wollen nach oben, wir wollen eine Spitzenmannschaft werden", diktierte der verletzte Kapitän Michael Ballack den Journalisten nach dem Ächz- und Stöhnsieg in die Blöcke. Der Erfolg gegen die Slowakei hat die deutsche Nationalmannschaft diesem ehrgeizigen Ziel wieder ein Stückchen näher gebracht.

Das DFB-Team hat sich unter Joachim Löw weiterentwickelt, es ist vielleicht sogar noch stärker als während der WM. Junge Spieler wie Marcell Jansen und Clemens Fritz (vielleicht die Entdeckung dieser Länderspielsaison), die auch gegen die Slowakei zu den Stärksten gehörten, sind nachgerückt. Aber auch die Gesetzten haben einen Sprung gemacht. Da wäre beispielsweise der Bremer Torsten Frings, der die im Weltfußball immer wichtiger werdende 6-er Position vor der Abwehr mittlerweile so modern wie kaum ein Zweiter interpretiert. Natürlich ging auch Frings im letzten Spiel der Saison auf dem Zahnfleisch. Aber die Strippen im Mittelfeld zog er deshalb nicht weniger geschickt.

Gesamtkunstwerk Nationalmannschaft

Müde waren sie fast alle, müde war auch Miroslav Klose. Aber selbst der krisengebeutelte Stürmer erlebte in Hamburg so etwas wie eine mittlere Wiederauferstehung. An beiden deutschen Toren war der Angreifer beteiligt und auch sonst wirkte Klose präsenter und kämpferischer als noch beim Kantersieg gegen San Marino, bei dem der Werderaner mal wieder leer ausging. Leer ging Klose zwar auch im Slowakei-Spiel aus, aber das dürfte die Mehrzahl der deutschen Fans wohl erst beim Betrachten der Fernsehbilder spät in der Nacht oder gar erst am nächsten Tag bemerkt haben. Und das war vielleicht auch ganz gut so. Jeder im Stadion freute sich über Kloses 1:0 in der zehnten Minute, das in Wirklichkeit ein Eigentor war. Der Stadionsprecher rief Klose als Schützen auf, der Spieler selber drehte jubelnd ab und ließ die eigentlich ja fälschliche Gratulationskur genüsslich über sich ergehen. Ein Jammer, dass es Zeitlupen gibt, die solche Irrtümer gnadenlos und ohne Pardon aufdecken.

Aber auch wenn diese skurrile Szene ohne echtes Happyend für Miroslav Klose bleiben sollte, etwas Gutes hatte sie dennoch. Womit wir wieder beim positiven Gesamtbild der deutschen Nationalmannschaft angelangt wären. Torsten Frings war der erste Gratulant, der sich gemeinsam und demonstrativ mit Klose über dessen vermeintliches Tor freute. Und das, obwohl sich beide in den Tagen vor dem EM-Qualifikationsspiel noch über die Medien eine etwas kindliche Schlammschlacht über Opportunismus und Vereinstreue geliefert hatten. Nun lagen sie sich also wieder in den Armen. Damit wäre eindrucksvoll bewiesen: Der Zusammenhalt, neudeutsch würde man vielleicht auch von 'Spirit' sprechen, stimmt in diesem Team. Auf dem Weg zum angestrebten EM-Titel 2008 ist das vielleicht sogar das wichtigste Mosaiksteinchen eines in sich immer stabiler wirkenden Gesamtkunstwerkes 'Nationalmannschaft'.

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