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Neuer DFB-Sportdirektor Es gibt nur drei Rudi Völler

Rudi Völler ist ein Mann ohne Feinde
Rudi Völler ist ein Mann ohne Feinde
© Marius Becker / DPA
Der 62 Jahre alte Weltmeister von 1990 wird neuer Sportdirektor beim DFB. Offiziell tritt er bloß die Nachfolge von Oliver Bierhoff an. Doch Völler muss auch noch Aufgaben von Bundestrainer Hansi Flick und Verbandspräsident Bernd Neuendorf übernehmen, damit die Heim-EM 2024 ein Erfolg wird.

Anfang der Nullerjahre, als ihm die Locken noch etwas prächtiger und dichter auf den Schultern lagen, als er Tante Käthe gerufen wurde, eben wegen jener Haare, die nach einer verpfuschten Dauerwelle aussahen, da sagte Rudi Völler: "Was meine Frisur betrifft, bin ich Realist.“

Ein Satz für die Ewigkeit. Zudem: Wann schon sprach mal jemand aus der eitlen Fußballbranche so über sich selbst? Heute lassen sich nicht wenige Spieler ihren Friseur ins Trainingslager fliegen, und selbst ein Trainer wie Freiburgs Christian Streich findet das in Ordnung: "Das sind junge Kerle. Die freuen sich, wenn sie gut aussehen.“

Das DFB-Team soll wieder näher an die Fans rücken

Rudi Völler wollte nie gut aussehen, als Spieler war er ein Wühler im Strafraum, und später, nach dem Karriereende, wurden ihm Spitzenämter angetragen, so der Job als Teamchef der Nationalmannschaft und später der Geschäftsführerposten bei Bayer Leverkusen. Er selbst griff nicht danach. Und auch zu seiner neuen Aufgabe musste Völler, 62, erst überredet werden. Nach dem Willen der Task Force des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wird Völler neuer Sportdirektor des Verbandes; die Bestätigung durch den Aufsichtsrat des DFB ist nur noch Formsache. Völler folgt auf Oliver Bierhoff, dessen Frisur stets tadellos saß, aber der zuletzt für drei missratene Turnier in Serie mitverantwortlich war. Bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 schied das DFB-Team bereits nach der Gruppenphase aus, und bei der EM 2021 war nach einem 0:2 gegen England im Achtelfinale Schluss.

Jetzt also Völler. Seine Berufung ist zu deuten als Reflex auf die 18 Jahre währende Ära Bierhoff. Völler soll all das sein, was Bierhoff nicht war: nahbar, mutig, pragmatisch, unverblasen. Es gibt einiges zu reparieren bei der Nationalmannschaft, das hat der DFB nun mit reichlich Verspätung erkannt. Völler, Weltmeister 1990, der Ruuudi der Kurve, soll das Team wieder näher an die sogenannte Basis rücken. Runter vom Sockel, auf den es Bierhoff nach dem WM-Sieg 2014 gestellt hatte. Wirtschaftlich war Bierhoffs Strategie, die Männer-Nationalmannschaft als Edelmarke zu inszenieren, ein großer Erfolg. Das darf bei der Bewertung seines Wirkens nicht unterschlagen werden. Das Team spielt jährlich einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag ein und subventioniert nicht nur den Amateursport und die Nachwuchsteams, sondern auch das Frauen-Nationalteam. 

Der Preis für die Hochglanzvermarktung war jedoch ein zu hoher. Die Mannschaft entfremdete in atemberaubendem Tempo sich von jenen, die ihr früher mal zugejubelt hatten, abzulesen war dies auch an den schwachen TV-Quoten bei der WM in Katar. Das nehmen auch die Spieler wahr. "Leider bekommen wir nicht den Support, den wir brauchen“, klagte etwa Kai Havertz während der WM.

Es wird nicht reichen, nur Rudi Völler zu sein

Rudi Völler bleibt nur wenig Zeit, um das Verhältnis zum Fanvolk zu kitten. 2024 ist Deutschland Gastgeber der Europameisterschaft; es soll ein Fußball-Fest werden, auf das der ganze Kontinent schaut. So wünscht sich das der DFB. Völler ist es zuzutrauen, dass er die Stimmung im Land wird heben können. Er ist der seltene Typus Fußballer, den alle mögen, ein Mann ohne Feinde, früher in den Stadien besungen mit der grammatikalisch abenteuerlichen Liedzeile "Es gibt nur ein Rudi Völler“.

Völlers Pech ist es, dass es nicht reichen wird, bloß ein Rudi Völler zu sein. Er muss künftig auch ein halber Flick und ein halber Neuendorf sein. Er muss all das wegarbeiten, was die anderen liegen gelassen haben.

Kommunikation und Diplomatie sind nicht die Stärken des DFB, dem mit sieben Millionen Mitgliedern der größte nationale Sportverband der Welt. Bei der WM in Katar wurde dies überdeutlich: Die Wucht der Debatte um die sogenannte Regenbogenbinde unterschätze DFB-Präsident Bernd Neuendorf völlig; in Doha weilend spürte nicht, wie sehr sich die Stimmung in der Heimat gegen die Nationalmannschaft gedreht hatte. Feigheit und Kuschen vor dem Weltverband Fifa wurde ihr vorgeworfen ("Schämt euch!“, BILD), manche Kommentatoren forderten gar den Rückzug vom Turnier. Neuendorfs halbherzige Moderationsversuche verpufften, die Spieler mussten sich verraten fühlen, da sich niemand vor sie stellte, und die Kritiker wurden auch nicht besänftigt.

Die Mannschaft verliert seit 2018 zunehmend an Kredit

Bundestrainer Hansi Flick, das hat das Turnier in Katar gezeigt, ist auch nicht der Kommunikator und Menschenfänger, den der DFB in ihm sah, als er im August 2021 verpflichtet wurde. Flick spricht gern über Fußball, über alles andere jenseits des Rasens schweigt er lieber. Bei einer politisch so aufgeladenen WM wie jener auf der arabischen Halbinsel war das ein ernsthaftes Problem; und auch mit Blick auf die EM 2024 wird es nicht genügen, nur über Viererkette und Doppel-Sechs zu reden. Die Mannschaft verliert seit 2018 zunehmend an Kredit im Land, vielen ist sie einfach nur noch egal.

Rudi Völler muss das jetzt alles schnell retten, im Alleingang. Mit sogenannten Himmelfahrtskommandos kennt er sich er sich immerhin aus: Im Jahr 2000 lag der Männer-Fußball am Boden; das von Sir Erich Ribbeck trainierte Nationalteam war bei der EM als Gruppenletzter ausgeschieden. Völler übernahm und führte die Mannschaft nur zwei Jahre später ins WM-Finale gegen Brasilien. Nun soll der Mann mit der Unfrisur die nächste Wiederauferstehung herbeizaubern.  

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