Also sprach der Müller über die Tränen jenes Mannes, der doch glatt die Unverfrorenheit besessen hatte, ihn im Champions League-Halbfinale auf der Bank zu lassen: "Man muss kein Romantiker sei, um das zu verstehen. Er hat in den drei Jahren viel investiert, vor jedem Spiel vier Spiele des Gegners anschauen, obwohl man das Ergebnis schon kennt, da kann man schon mal ein bisschen Mensch sein."
Guardiola bis zum Schluss ein Rätsel
Der Trainer Guardiola ist ja bis zum Schluss ein Rätsel geblieben, und selbst jene 120 Minuten von Berlin, die in einem Elfmeterschießen gegen den großen Rivalen aus Dortmund endeten, brachten keine wirkliche Auflösung, Noch immer weiß niemand so recht, in welcher Geisteshaltung dieser Guardiola München nun verlässt. Das Double mag ihm einen "Abschied durchs große Tor aus der Saison" beschert haben, wie es Thomas Müller ausdrückte. Und doch bleibt Guardiola auch in seiner letzten Stunde als Bayern-Trainer schwer zu lesen.
Kaum hatte Douglas Costa den entscheidenden Elfmeter verwandelt, da hatte er sich umgedreht und war seinem Vertrauten Manel Estiarte in die Arme gefallen, als sei er dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. Die Tränen flossen danach hemmungslos. Mischte sich da nicht doch so etwas wie Trauer in die Freude, ein Gefühl der Sentimentalität, nun, da der Abschied beschlossen ist?
Einen jeden Spieler umarmte Guardiola fest, immer wieder, bis zum Pressesprecher wurde jeder mit einem innigen Moment bedacht. Es fällt in solchen Situationen auch nach drei Jahren Guardiola schwer, zu glauben, dass dieser Guardiola, so körperlich in seiner Kommunikation, im Alltag selbst von seinen eigenen Profis als unnahbar empfunden wird.
Doch gut eine Stunde später, Guardiola hatte mittlerweile auf dem Pressepodium Platz genommen, schloss sich dieser Guardiola wieder wie eine Auster. War es der Anblick der deutschen Presse, die er immer als undankbar empfunden hatte, weil sie ihm Jahr für Jahr die nicht gewonnene Champions League aufs Brot schmierte?
Nachdem er sich mit routinierter Pep-Rhetorik beim Klub ("Wahnsinn, beste in nächsten Jahren") und seinen Spielern ("Verein bei ihnen in guten Händen") bedankt hatte, schimmerte wieder jener Trotz durch, der den späten Guardiola allzu oft begleitet hat. "Die letzten fünf Monate waren nicht einfach, weil das, was die Leute vor meiner Entscheidung für Manchester gesagt haben, war etwas komplett anders war als danach." Die Leute – ein Chiffre für die Presse. "Ich habe das nicht verstanden." Er meint: Seit sein Wechsel bekannt geworden sei, habe man die Latte flugs ein bisschen höher für ihn gelegt.
Meisterschaft für Bayern eher Pflicht als Kür
Es folgte wieder eine Abhandlung über die Kunst, diese Bundesliga zu gewinnen gegen Borussia Dortmund. Er wird es so lange wiederholen, wie ihm das gefällt, obgleich er längst weiß, dass sie in München die Meisterschaft eher als Pflicht denn als Kür begreifen.
Guardiola sagt, ihn interessierten Zahlen und Titel weniger.
Tatsächlich ist seine Gier nach Ruhm und Anerkennung kein bisschen weniger ausgeprägt als bei jedem anderen seiner Trainer-Kollegen. Vielleicht lechzt er sogar noch ein bisschen mehr nach jener Anerkennung, die ihm in den eigenen Augen in München versagt geblieben ist. Vor allem deshalb mag er sich nicht an jener Vorgabe messen lassen, die ihm immer wieder von außen gestellt wurde – dem Gewinn der Champions League. Es hieße, dass jene, die sie aufstellen, das Recht hätten, über ihn zu urteilen. Seine Rache, das ist sein Desinteresse an dem, was sie denken.
Er ist nie einer gewesen, der über das mediale Grundrauschen und die Aufgeregtheiten bei seinem notorisch unruhigen Arbeitgeber hinweg zu surfen verstand. Alles, was ihn betrifft ist, um es mit Jonathan Safran Foer zu sagen, extrem laut und unglaublich nah.
München, das durfte nicht nach drei Jahren in einer Tristesse enden, es hätte nicht dem Selbstbild des Pep Guardiola entsprochen. "Seine Arbeit wird jetzt auch nach außen anders gewertschätzt", sagt Müller und fügte einen Satz hinzu, der im Wortkonfetti, das nach einem solchen Triumph durchs die Mixed Zone wabert, fast untergegangen wäre: "Er hat uns taktisch und wie man auf verschiedene Situationen reagiert, sehr viel beigebracht."
Es war wohl die größte denkbare Form der Anerkennung für ihn. Denn Müller steht nicht im Verdacht, ein Guardiola-Vertrauter zu sein. Wo der Kapitän Philipp Lahm in den vergangenen drei Jahren eine Art Außenminister für den Katalanen gab, schien dieser Müller nie ein Spieler nach Guardiolas Geschmack zu sein. Er hat nie wirklich viel mit diesem irrlichternden Müller anfangen können.
Ob Guardiola München vermissen wird?
Ob er ihn und den Münchner Rest wirklich vermissen wird? Sie wissen im Klub noch immer nicht, was diesen Guardiola wirklich in die Ferne treibt. Wahrscheinlich hat er sich neben mehr Anerkennung auch noch mehr Einfluss gewünscht in einem Verein, der sich in Transferfragen niemals das Heft aus der Hand nehmen lässt, auch nicht von Josep Guardiola i Sala.
Pep Guardiola will noch ein paar Tage in München bleiben, seine Wohnung wird er behalten. Der Bayern-Trainer Pep Guardiola ist seit gestern Geschichte.