Niederlagen tun weh. Außer man ist der FC Bayern München und hat am Wochenende mit 1:2 gegen RB Leipzig verloren. Denn es dürfte selten eine Schlappe gegeben haben, die dem Münchner Trainer Jupp Heynckes so sehr in den Kram passte, wie die Niederlage in Leipzig. Dass er nach dem Spiel dem Gastgeber brav gratulierte ("Heute hatten wir einen überragenden Gegner, das muss man anerkennen"), wurde seinem ausgeprägten Sportsgeist zugeschrieben. Und doch kam die Auswärtspleite genau zum richtigen Zeitpunkt.
Denn seit Wochen und Monaten sind Jupp Heynckes und sein Stab intensiv darum bemüht, dass den FC Bayern nicht schon wieder jene fatale Frühjahrsmüdigkeit befällt, die in den vergangenen Jahren stets mit dafür verantwortlich war, dass in der Champions League spätestens im Halbfinale Schluss war. So konsequent die Münchner stets noch im Herbst die Gegner in sämtlichen Wettbewerben auseinandergenommen hatten, so sehr fehlte den Münchnern im Frühling jene Entschlossenheit, die etwa im legendären Triple-Jahr 2013 den FC Bayern ausgezeichnet hatte.
FC Bayern München national konkurrenzlos
Philipp Köster: Kabinenpredigt
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.
Also war es Heynckes sicher ganz recht, dass der FC Bayern nicht schon am Sonntag als Meister feststand. Eine Meisterschaft, die bereits Mitte März feststeht, hätte noch einmal ein grelles Schlaglicht darauf geworfen, wie konkurrenzlos die Münchner inzwischen auf nationaler Ebene sind und hätte die restlichen Spieltage zum reinen Schaulaufen verdammt. Sicher, spätestens nach der Länderspielpause wird der erneute Titelgewinn feststehen – aber je länger sich die Bayern in allen drei Wettbewerben noch auf Betriebstemperatur halten müssen, um so besser.
Und auch mannschaftsintern hat sich Jupp Heynckes sichtlich bemüht, die Grundspannung aufrecht zu erhalten. Etwa indem er auch im Achtelfinale der Champions League fleißig rotieren ließ und einkalkulierte, dass sich etwa Arjen Robben, nachdem er im Hinspiel gegen Besiktas nur auf der Bank gesessen hatte, stinksauer zu Wort meldete. Heynckes hatte den Protest des Holländern kühl abmoderiert ("Ich mache das, was ich für richtig halte. Das muss jeder akzeptieren. Punkt") und zwei wichtige Zeichen gesetzt: dass erstens nicht zwischen wichtigen und unwichtigen Spielen unterschieden wird und zweitens Verdienste der Vergangenheit nicht zählen.
Eines hat Heynckes damit erreicht. Er genießt das uneingeschränkte Vertrauen seiner Spieler, es herrscht deutlich weniger Unruhe im Kader als noch unter seinem Vorgänger Carlo Ancelotti. Diese mannschaftliche Geschlossenheit ist die Grundvoraussetzung, um international bis zum Schluss dabei zu sein.
Sevilla könnte zum Problem werden
Nun muss der Coach aber noch ein viel größeres Problem lösen, das der spieltaktischen Qualität. Denn gegen Leipzig zeigte sich wieder einmal, dass das Team in der Verteidigung größte Schwierigkeiten gegen laufstarke, aggressive Mannschaften bekommt, die schon kleine Lücken im Defensivverbund gnadenlos ausnutzen und ihr Heil auch über schnelle Flügelspieler suchen. Schon im Viertelfinale gegen Sevilla treffen die Münchner wieder auf eine solche Mannschaft, die nur zu besiegen sein wird, wenn sich körperliche Fitness mit geistiger Frische kombinieren lässt. Derart leichtfertig, wie die Bayern in Leipzig auftraten, ist sogar der spanische Tabellensechste eine ernsthafte Gefahr für die Münchner.
In der Tabelle der Bundesliga ist die Niederlage gegen Leipzig nur eine Fußnote, der Titelträger steht seit Wochen und Monaten fest. Wenn die Münchener jedoch die richtigen Lehren aus ihr ziehen, könnte sie sich noch als sehr wichtig für die Titelchancen des FC Bayern erweisen. Und das weiß natürlich auch Jupp Heynckes.