WM-Missionar Jürgen Klinsmann geht mit dem totalen Glauben an eine vierte deutsche Siegesparty ins erste K.o.-Spiel gegen Schweden. An einen vorzeitigen Abflug nach Amerika verschwendet der Bundestrainer vor der Stunde der Wahrheit am Samstag überhaupt keinen Gedanken. "Ich bin absolut überzeugt, dass wir unsere schwere Arbeit positiv hinter uns bringen und das Spiel gewinnen. Alles andere hat gar keinen Platz in unserem Kopf", verkündete der 41-Jährige, der den Anpfiff förmlich herbeisehnt: "Man wartet, dass es um 17.00 Uhr in München losgeht."
"Die Mannschaft brennt, sie ist voller Optimismus. Wir wollen diese Messlatte jetzt", sagte Klinsmann am Freitag bei seiner letzten Rede an die Fußball-Nation vor dem Abflug aus Berlin. Ab sofort wird bei der Weltmeisterschaft Alles oder Nichts gespielt - auch von Klinsmann selbst. Ganz bewusst hat er schon vor dem ersten K.o.-Spiel die Messlatte auf das Halbfinale gelegt, auch wenn das mit seiner persönlichen Zukunft "nichts" zu tun habe, wie er behauptete.
Drei Mal Weltmeister, drei Mal Europameister
"Wir sind ein Land, das drei Mal Weltmeister und drei Mal Europameister wurde und jetzt die WM im eigenen Land spielt. Da haben wir den Wunsch und den Traum, bis zum Schluss dabei zu sein - und nichts anderes. Darum werde ich nicht aufhören, davon zu reden, auch nicht nach einem Achtelfinale oder Viertelfinale", betonte er durchaus zurecht: Ein Aus gegen Schweden wäre das schlechteste deutsche WM-Abschneiden seit 1938.
Zwar konkretisierte der Bundestrainer am Tag vor dem ersten K.o.-Spiel seine persönlichen Vorstellungen nicht, dennoch deutet sich an, dass sein Masterplan auch in dieser Frage lange abgesteckt ist. Wenn das von Klinsmann als "Minimum" für eine erfolgreiche WM bezeichnete Halbfinale erreicht wird, könnte der Bundestrainer selbst den Erneuerungs-Kurs mindestens bis zur EM 2008 uneingeschränkt fortsetzen oder einen seiner engsten Vertrauten auf den Chefposten schieben. "Die Leute dafür gibt es allemal. Jogi Löw könnte es ohne Probleme machen, auch Dieter Eilts", sagte Klinsmann.
Anspruch eines traditionellen Fußball-Landes
Eine direkte Verbindung seiner überraschenden Aussagen ("Selbst das Aus im Viertelfinale wäre noch eine Katastrophe") zu einem möglichen sofortigen Rückzug als Bundestrainer ließ Klinsmann am Freitag allerdings nicht zu. "Die Aussagen sind nicht so gemeint, dass sie mit meiner persönlichen Zukunft zu tun haben", betonte der 41-Jährige und versuchte damit, die Brisanz des Themas einzudämmen. Boulevard-Blätter hatten schon so oder ähnlich getitelt: "Klinsi: Rücktritt bei Schweden-Pleite." Es gehe um den Anspruch eines so traditionellen Fußball-Landes wie Deutschland mit jeweils drei WM- und EM-Titeln, erläuterte Klinsmann: "Unsere Erwartungen als Fußball-Nation hören nicht im Achtel- oder Viertelfinale auf. Das geht einfach nicht, vor allem bei der WM im eigenen Land."
Klinsmanns Blick geht aber nur nach vorne. Mit seinen Aussagen hat er seine junge Truppe zusätzlich unter Dampf gesetzt, im Training sind seine Kommandos lauter und eindringlicher geworden. Von "zusätzlichem Druck" wollte er trotzdem nicht sprechen. Philipp Lahm legte Klinsmanns Worte positiv aus: "Das motiviert uns zusätzlich."
"Ganz heiße Kiste"
Klinsmann erwartet eine "ganz heiße Kiste" im Duell mit den robusten Schweden-Stars Fredrik Ljungberg, Zlatan Ibrahimovic oder Henrik Larsson, und das nicht nur wegen der Wetterprognosen. "Jetzt kommt der Moment, wo man an seine Grenzen gehen muss, wenn es sein muss über 120 Minuten und im Elfmeterschießen." Das Achtelfinale wird zur Reifeprüfung für die Mannschaft, aber auch für jeden Einzelnen. "Die Spieler wissen ganz genau: Das ist ihr Turnier, das ist ihr Moment", betonte der Weltmeister von 1990: "Wir haben großartige Spieler in unseren Reihen, die auf dem Weg sind, internationale Klasse zu bekommen. Miroslav Klose, aber auch andere, sind dabei, sich international einen Namen zu machen. Die brauchen diese Spiele - und die wollen nach dem Achtelfinale noch drei mehr haben."
Klinsmann setzt auf dem angestrebten Weg ins Finale am 9. Juli auf die Willensstärke seiner Elf, die er nur auf einer Position verändern dürfte. Robert Huth muss trotz der tadellosen Leistung beim 3:0 gegen Ecuador wieder auf die Bank. Der Dortmunder Christoph Metzelder soll wieder im Abwehrzentrum mit Per Mertesacker Gegentore verhindern.
Höhere Konzentration gefordert
Abwehr, Mittelfeld, Angriff - alle müssten sich steigern, forderte Klinsmann: "Das ist jetzt eine höhere Stufe als die Vorrundenspiele." Seine Hauptforderungen sind erstens: "Das Konzentrations-Level muss noch höher sein. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben." Zweitens: "Wir müssen sehr achtsam sein bei den Standards der Schweden, da sind sie sehr gefährlich." Und drittens: "Wir müssen noch kompakter stehen in der Verbindung der Vierer-Abwehr mit dem defensiven Mittelfeld."
Die Achse Lehmann-Ballack-Klose ist besonders gefordert, das Team in das erwartete Super-Viertelfinale gegen die starken Argentinier zu führen. Jens Lehmann muss erstmals ein echter Rückhalt im Tor sein, nachdem er bislang kaum gefordert wurde. Michael Ballack muss sich als wahrer Kapitän erweisen. Er soll defensiv und offensiv das Team führen und die entscheidenden Akzente setzen. "Wir haben in den Schweden einen starken Gegner, aber wir müssen uns jetzt auch nicht klein machen", sagte der Kapitän selbstbewusst. Und vorn ruhen die Hoffnungen auf den 445. Sieg im 777. Länderspiel auf den Schultern des bislang vierfachen Torschützen Miroslav Klose, dem Klinsmann auch kein Salto-Verbot beim Torjubel verordnen will. Im Gegenteil: "Am liebsten wäre uns, er würde gleich gegen Schweden einen machen."
Verwundbar in der Abwehr
In Video-Sitzungen und mit vielen Gesprächen hat Klinsmanns Stab die 23 Akteure, die alle fit sind, auf die Skandinavier vorbereitet. Verwundbar hält man die Schweden in der Abwehr. "Sie haben auch Schwächen, nicht nur Stärken, die wollen wir gnadenlos ausnutzen", sagte Bastian Schweinsteiger, der mit großem Optimismus in sein zweites WM-Heimspiel geht, ebenso wie sein Münchner Vereinskollege Lahm. "Wir haben uns bislang von Spiel zu Spiel gesteigert, das gilt es fortzusetzen", sagte der linke Verteidiger.